Rom/Duisburg.

Es war eine Hinrichtung auf offener Straße: Sechs Italiener wurden im Sommer 2007 vor einer Pizzeria in Duisburg erschossen. Zehn Jahre nach den Mafiamorden hat die Polizei in Italien nun einen lange gesuchten Mafioso gefasst. Eines seiner Verbrechen soll die Duisburger Tat ausgelöst haben.

Santo Vottari von der ’Ndrangheta kauerte in einem winzigen Erdloch, als die Einsatzkräfte ihn am Mittwochmorgen aufspürten. Eine Grube, gerade so groß, dass sich der stämmige 44-Jährige hineinzwängen konnte. Vottari war bis zu dem Zugriff einer der 50 meistgesuchten Verbrecher Europas. Er gilt als Chef des Clans Pelle-Vottari und als Drahtzieher im blutigen Mafiakrieg mit der verfeindeten Familie Nirta-Strangio. Beide Familien stammen aus San Luca in Kalabrien.

Europol macht Vottari für das „Weihnachtsblutbad“ von 2006 verantwortlich. Damals wurde die Ehefrau eines Bosses des Nirta-Strangio-Clans vor ihrer Haustür erschossen. Am 15. August 2007 folgte mit dem Massaker vor dem Duisburger Restaurant „Da Bruno“ ein Racheakt: Die sechs Männer der Pelle-Vottari-Familie kamen nach einer Geburtstagsfeier aus dem Lokal. Als sie in ihre Autos stiegen, wurden sie mit 54 Schüssen hingerichtet. Am Mittwoch war zunächst berichtet worden, Vottari sei ein Drahtzieher der Duisburger Tat. Wie aber ein damaliger Ermittler dem WDR bestätigte, gehörte Vottari nicht zu den Beschuldigten, sondern zu dem Clan, dessen Angehörige dort getötet wurden.

Während die Killer von Duisburg längst verhaftet und verurteilt wurden, konnte Vottari den Fahndern bislang stets entkommen – er versteckte sich in dem Bergdorf Benestare in Kalabrien. Im Souterrain des Wohnhauses seiner Großfamilie entdeckten die Ermittler einen gut ausgebauten Bunker, darunter das Erdloch.

Die in Kalabrien beheimatete ’Ndrangheta gilt als die mächtigste der italienischen Mafiaorganisationen. Sie ist auch in Deutschland aktiv. So belauschten Ermittler nach dem Duisburger Sechsfachmord ein Telefonat zwischen einem italienischen Restaurant in Erfurt und einem Anschluss in San Luca. Sie hörten dabei mit, wie verabredet wurde, mit niemandem über das Geschehen von Duisburg zu reden.

Der Widerstand gegendie Mafia in Italien wächst

Italiens Verteidigungsministerin Roberta Pinotti gratulierte der Polizei zu der „brillanten Operation“. Der kala­brische Antimafia-Chefermittler bezeichnete die Festnahme als großen Schlag gegen die ’Ndrangheta. Vor allem, weil die Tradition der „Omerta“ gebrochen zu sein scheint: In Süditalien konnten Mafiosi bislang auf die Verschwiegenheit ihrer Familien, aber auch der Gesellschaft zählen. Doch am Dienstag protestierten in der kalabrischen Stadt Locri, nur wenige Kilometer von Vottaris Heimatort entfernt, 25.000 Menschen gegen die Clans.

Vottari leistete bei seiner Festnahme im Erdloch keinen Widerstand. Gesuchte Verbrecher unterirdisch zu verstecken, hat bei der Mafia eine lange Tradition. Mafiabosse und -mörder entfernen sich selten weit von ihrem Heimatort. Spektakulär war die Entdeckung eines Luxusbunkers, in dem ein Camorra-Chef aus der Gegend bei Neapel lebte. Viele Jahre hatte der Mann unter einer Villa zugebracht und die Geschäfte seines Clans von dort bis zu seiner Festnahme 2011 geleitet.

Die ’Ndrangheta ist mit der Nutzung von Erdlöchern ohnehin aus einem früheren Business vertraut, als sie noch nicht eine der weltweit führenden Organisationen im Drogenhandel war: dem Kidnapping. Berühmt wurde der Fall des Unternehmersohnes Cesare Casella, der 1988 erst 18-jährig entführt wurde und 743 Tage in wechselnden Erdlöchern im Aspromonte-Gebirge kauern musste.

Santo Vottari droht nun eine lange Haft: Laut Europol ist er in Abwesenheit bereits zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden.