Das Drama „Der Himmel wird warten“ thematisiert, wie Mädchen in Frankreich für den IS-Terror anfällig werden

Weibliche Gesichter sind selten zu sehen, wenn es um IS-Terror geht. Dass es junge Frauen in Europa gibt, die sich genau wie ihre männlichen Pendants „radikalisieren“ und in Syrien mitkämpfen wollen, gilt als unverstandenes Kuriosum. In ihrem neuen Film „Der Himmel kann warten“ versucht die französische Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar („Die Schüler der Madame Anne“) dem Phänomen nachzuspüren. Inspiriert von wahren Fällen, inszeniert sie zwei Mädchenschicksale in Frankreich.

Bei Sonia (Noémie Merlant) bricht eines Tages ein Sonderkommando der Polizei ein und versetzt ihre Eltern (Sandrine Bonnaire, Zinedine Soualem) in Angst und Schrecken. Bei Sonias Freunden seien Pläne für Attentatsvorbereitungen entdeckt worden, sie habe vorgehabt, sich dem IS anzuschließen. Nach einer kurzen Untersuchungshaft wird Sonia mit Auflagen entlassen: Sie steht unter Hausarrest; ihre Eltern lassen sie nicht mehr aus den Augen. Der 16-Jährigen fällt es schwer, in den Alltag zurückzukehren, den sie aufgegeben hat. Ihren Vater greift sie für seinen laxen Umgang mit dem Glauben an; Zuwendungen der Mutter weist sie zurück; nachts windet sie sich unter Schuldgefühlen wie im Schmerz.

Was als Flirt beginnt, geht nach und nach über in eine Belehrung

Parallel dazu geschnitten ist der zweite Fall, in dem es um eine andere Phase des Radikalisierungsprozesses geht: Die brave Mélanie (Naomi Amarger), die bei ihrer Mutter (Clotilde Courau) lebt, ist nach außen hin bestens integriert. Doch der Tod der geliebten Großmutter reißt etwas auf, über das sie nicht so schnell hinwegkommt. Sie lässt sich per Social Media von einem „Prinzen“ bezirzen. Was als Flirt beginnt, geht nach und nach über in eine Belehrung. Mit Hinweisen auf Videos und Webseiten übt der Unbekannte immer mehr Einfluss auf Mélanie aus; die junge Frau verändert ihr Denken und isoliert sich von ihrem Freundeskreis.

Etwas Ruhe findet der Film, wenn er die Therapie von Sonias Eltern zeigt

Mosaikartig setzt Mention-Schaar die Szenen aus dem Leben ihrer Protagonistinnen zusammen. Selten verharrt die Kamera länger bei einer Figur; geradezu fahrig springt die Perspektive von Sonia zu Mélanie und wieder zurück. Dazwischen sieht man die jeweiligen Eltern mit ratlosen oder vor Sorge erstarrten Gesichtern. Etwas Ruhe findet der Film, wenn er die gruppentherapeutischen Sitzungen zeigt, die Sonias Eltern besuchen. Hier hört man die Anthropologin und Autorin Dounia Bouzar argumentieren; Bouzar setzt sich für ein besseres Verständnis des Islam ein und hat in Paris ein Vorsorge-Zentrum gegründet.

Regisseurin Mention-Schaar bemüht sich im Geiste Bouzars um einen vorurteilsfreien Blick, aber in ihrer völlig von Atmosphäre und Stimmungen dominierten Inszenierung erscheint das Phänomen der Radikalisierung mehr und mehr wie eine psychische Krankheit, eine Variante der Magersucht etwa, von der besonders sensible Mädchen erfasst werden. Die realen gesellschaftlichen Fakten kommen dabei eindeutig zu kurz.

„Der Himmel wird warten“ F 2016, 105 Min.,
ab 12 J., R: Marie-Castille Mention-Schaar,
D: Noémie Merlant, Naomi Amarger, Sandrine Bonnaire, täglich im Abaton, Koralle, Passage, Schanzen- kino 73; www.neuevisionen.de