Hamburg. So viele Delikte wie noch nie. In 902 Fällen entfernten sich Fahrer sogar vom Ort des Geschehens, obwohl Menschen verletzt waren.

Etliche Hamburger Autofahrer dürften bei der Rückkehr zu ihrem geparkten Auto schon vor Wut fast in die Luft gegangen sein: Über den eben noch unversehrten Wagen zieht sich eine Schramme, mal klafft in der Stoßstange eine Delle, mal fehlt der Seitenspiegel. Vor allem aber fehlt: jede Spur nach dem Verursacher. Der ist nämlich längst getürmt.

Der Ärger dürfte umso größer ausfallen, wenn der Verursacher auch im Anschluss nicht ermittelt wird. Die Geschädigten bleiben auf den Kosten sitzen – sofern sie nur einen Haftpflicht- oder Teilkasko-Schutz haben; in Härtefällen kann allerdings die Verkehrsopferhilfe für den Schaden eintreten. Auf der sicheren Seite sind indes Vollkasko-Versicherte.

Haftpflichtversicherung holt sich das Geld zurück

Ganz anders verhält es sich, wenn Autofahrern eine Unfallflucht nachgewiesen werden kann: Ihre Haftpflichtversicherung zahlt den Schaden zwar zunächst, holt sich das Geld später aber wieder von ihnen zurück. Für den Schaden am Fluchtfahrzeug selbst muss die Versicherung nicht einspringen. „In der Kaskoversicherung handelt es sich um eine Obliegenheitsverletzung. Wir müssen einen Schaden nicht bezahlen“, sagt Holger Brendel vom Kfz-Versicherer HUK-Coburg.

Die Hamburger Polizei spricht inzwischen von einem „Massendelikt“. Die Zahl der Unfallfluchten stieg von 16.811 im Jahr 2013 auf 18.507 im Vorjahr. In 902 Fällen entfernten sich die Verursacher selbst dann vom Unfallort, wenn Menschen verletzt worden waren. Bei insgesamt rund 7800 Personen­unfallschäden im Vorjahr flüchtete also jeder achte Autofahrer. Sind Menschen zu Schaden gekommen, klärt die Polizei etwa jeden zweiten Fall auf. Die Aufklärungsquote bei Blechschäden liegt mit 40 Prozent deutlich darunter.

Spektroskopischer Finger­abdruck der Lackprobe

„Sofern es Ermittlungsansätze gibt, werden infrage kommende Fahrzeuge überprüft, nach korrespondierenden Schäden und anderen Beweismitteln untersucht, Hinweise und Spuren gesichert, Halter überprüft und gegebenenfalls nach anderen Fahrern befragt“, sagt Polizeisprecherin Heike Uhde. Häufig bringen Lacksplitter die Beamten auf die richtige Spur. Dabei wird eine Art spektroskopischer Finger­abdruck der Lackprobe erstellt und mit den mehr als 25.000 Originallackproben in der European Collection of Automotive Paints (EUCAP) abgeglichen. Weil jeder Autolack eine spezifische Beschaffenheit hat, können die Beamten so Modell, Hersteller und sogar das Baujahr des Verursacherfahrzeugs bestimmen. Auch Glassplitter können häufig einem Fahrzeugmodell zugeordnet werden.

Unfallflucht wird nach Paragraf 142 des Strafgesetzbuches mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. In der Praxis gestaltet sich der Tatnachweis häufig schwierig, weil es keine Zeugen gibt. Zudem behaupten angeklagte Fluchtfahrer nicht selten, sie hätten den Unfall gar nicht bemerkt. Als verwirklicht gilt der Tatbestand aber nur dann, wenn ein Vorsatz nachgewiesen werden kann. In vielen Fällen muss deshalb ein Sachverständiger hinzugezogen werden, der Angaben zur audiovisuellen Wahrnehmbarkeit des Unfalls machen kann.

Ein Drittel der Verfahren enden mit einer Einstellung

Wie aus der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Karl-Heinz Warnholz hervorgeht, werden von den Hamburger Gerichten pro Jahr etwa 1300 Fluchtfahrer abgeurteilt. Allerdings endet rund ein Drittel der Verfahren mit einer Einstellung, jedes zehnte mit Freispruch. „Die Gerichte sollten häufiger Fahrverbote erteilen“, sagt Warnholz, „um zu verdeutlichen, dass es sich um kein Kavaliersdelikt handelt.“ Er persönlich befürworte auch eine „Nachschulung“ für überführte Fluchtfahrer. „Meiner Meinung nach sollten sie zusätzliche Fahrstunden absolvieren.“

Auch bei kleinen Schäden die Polizei rufen

Selbst bei kleineren Schäden sind Verursacher verpflichtet, an der Unfallstelle auf den Geschädigten zu warten oder die Polizei zu rufen, sagt Polizeisprecherin Uhde. Nach Ablauf einer „angemessenen Wartezeit“ – in der Regel 20 bis 60 Minuten – dürfe man zwar wegfahren, müsse den Unfall aber „unverzüglich“ der Polizei melden. „Das Hinterlassen eines Zettels erfüllt die Pflichten eines Unfallbeteiligten auf keinen Fall“, so Uhde.