André Téchiné erzählt in dem Drama „Mit Siebzehn“ sehr feinfühlig von zwei Jungen, die ihre Gefühle füreinander entdecken

Wer hätte das gedacht? Ein Regisseur weit über 70 dreht einen Film über zwei 17-Jährige und trifft dabei in jedem Moment den richtigen Ton. André Téchiné, der am 13. März 74 wurde, hat ganz offensichtlich keine Lust auf Altersruhe und widmet sich noch einmal mit großer Empathie den Wirrungen der Adoleszenz.

Damien (Kacey Mottet Klein) und Thomas (Corentin Fila) können einfach nicht voneinander lassen. In der Schule in einem französischen Bergtal kriegen sie sich dauernd in die Haare; wenn beleidigende Worte nicht mehr helfen, werden sie auch mal handgreiflich. Warum die Jungs so aufeinander fixiert sind, weiß niemand, am wenigsten wohl sie selbst. Damien lebt mit seiner Mutter, der Landärztin Marianne (Sandrine Kiberlain), in wohlbehüteten Verhältnissen, auch wenn er seinen Vater (Alexis Loret), einen Militärpiloten, nur selten sieht.

Thomas, ein Junge aus dem Maghreb, lebt bei seinen Adoptiveltern auf einem Bauernhof in den Bergen, zur Schule läuft er jeden Tag mehrere Stunden. Als Thomas’ Mutter eine Lungenentzündung hat, kommt Marianne auf den entlegenen Hof und stellt fest, dass die Frau auch noch schwanger ist. Spontan entscheidet die Ärztin, den Jungen zu sich zu holen, sehr zum Missfallen ihres Sohnes. Damien ist hin- und hergerissen, irgendetwas zieht ihn zu Thomas hin, aber er kann es nicht ausdrücken. Dann haut man eben zu.

Wie viel hätte bei dem Film schiefgehen können! Auf den ersten Blick wirkt es wie ein ungewöhnliches Gespann: der Altmeister Téchiné, der zuletzt 1994 mit „Wilde Herzen“ wirklich einen Nerv getroffen hat und seitdem etwas aus der Zeit gefallen schien. Und die fast halb so alte Filmemacherin Céline Sciamma, die mit „Tomboy“ und „Girlhood“ zwei der schönsten französischen Filme über sexuelle Zwischentöne inszeniert hat und hier das Drehbuch liefert. Doch die Gemeinsamkeiten über Generationen und Geschlechter hinweg werden schnell deutlich: Beide haben ein sehr feines Gespür für den soziokulturellen Kontext, ihre Filme sind nie simple Geschichten über das Erwachsenwerden, sondern erzählen auch immer etwas über die französische Gesellschaft.

Emotionen lassen sich oft nur erahnen, doch genau das macht den Zauber aus

Téchiné ist trotz seines Alters ein junger Wilder geblieben, der versteht, dass Sciamma einen einzigartigen Blick auf die Jugend von heute hat. Deshalb sind Damien und Thomas auch nicht einfach nur Jungs, die sich ihre Sehnsucht füreinander lange nicht eingestehen können. Sondern komplexe Charaktere in einer Milieustudie der französischen Provinz, in der sie keine Vorbilder für ihr Begehren finden und es sich buchstäblich erkämpfen müssen. Téchiné und Sciamma hüten sich davor, alles auszuformulieren.

Emotionen lassen sich in flüchtigen Gesten oft nur erahnen, doch genau das macht den Zauber dieses ganz besonderen Films aus. Dieser flirrende Zustand der Jugend, zwischen kindlicher Unschuld und den großen Entscheidungen des Erwachsenseins, wird so zu einer bleibenden Kinoerfahrung.

„Mit Siebzehn“ F 2016, 114 Min., ab 12 J.,
R: André Téchiné, D: Sandrine Kiberlain, Kacey Mottet Klein, Corentin Fila, täglich im Studio