Die Doku „Die letzten Männer von Aleppo“ ist ein beklemmendes Stück Zeitgeschichte

Aleppo ist derzeit kein Ort fürs Filme­drehen. Die Gefahr für Leib und Leben ist dabei nur ein Faktor von vielen, dazu kommen der Mangel an Versorgung und der tägliche Schrecken von Bombenangriffen mit Toten und Verletzten. Dass der Dokumentarfilm „Die letzten Männer von Aleppo“ das alles in bedrückender Weise vor Augen führt, gehört zu seinen großen Errungenschaften.

Der syrische Regisseur Feras Fayyad hat in der umkämpften Stadt von 2015 bis 2016 der Unmöglichkeit zum Trotz immer wieder gedreht. Im Fokus stehen mehrere Männer, die als „Weißhelme“ bei der freiwilligen Zivilverteidigung mitarbeiten und nach Angriffen in den zerstörten Häusern nach Opfern suchen.

Khaled hat Dinge gesehen hat, die kein Ausschlafen kurieren kann

Klingt wie ein „normales“ Dokumentar-Sujet: Männer bei ihrer Arbeit begleiten. Aber die Umstände des Kriegs machen daraus natürlich etwas ganz anderes. Und es mag der Verdienst von Fayyads dänischem Co-Regisseur Steen Johannessen sein, dass das auch zum Ausdruck kommt: „Die letzten Männer von Aleppo“ ist weniger eine durcherzählte Dokumentation, sondern mehr ein Szenen-Mosaik, das eindringliche Einblicke in ein unhaltbares Dasein gewährt.

Dabei erfährt man nichts wirklich Neues. Dass Aleppo als Hochburg der Aufständischen umkämpft ist, lief schon so oft in den Nachrichten, dass man sich an die Trümmerbilder fast gewöhnt hat. Doch sobald man das Gesicht von Khaled, dem Protagonisten, sieht, bekommt man ein anderes Gefühl dafür. Um die Augen des eigentlich jungen Mannes zeichnet sich eine Müdigkeit ab, die nicht von schlechtem Schlaf, sondern von monatelanger Erschöpfung zeugt. Man versteht auch, dass Khaled Dinge gesehen hat, die kein Ausschlafen kurieren kann.

Der Film zeigt Szenen, die nicht leicht zu verdauen sind. Die Weißhelme beim Einsatz zu sehen bedeutet das Graben nach Verschütteten zu beobachten. Sie stoßen auf Körperteile, einzelne Hände und Füße, die sie zur Identifikation von Vermissten einsammeln. Oft genug bleibt ihnen nichts anderes übrig, als Leichen zu bergen. Wie häufig es sich dabei um Säuglinge und Kleinkinder handelt, löst beim Zuschauer eine tiefe Fassungslosigkeit aus, die durch die wenigen Momente des Triumphs, wenn es heißt „Sie lebt!“ oder „Er atmet noch!“, kaum aufgewogen wird.

Khaled ist verheiratet und hat zwei kleine Töchter. Die Frage „Flüchten oder standhalten?“ muss er sich wie auch seine Kollegen Nagieb und Mahmoud jeden Tag aufs Neue beantworten. Aber Nachrichten von Verwandten, die an irgendwelchen Grenzen ohne Perspektive festsitzen, machen wenig Mut. Zwischendurch zeigt der Film die Männer bei Anti-Assad-Kundgebungen, die in ihrer trotzigen Lebendigkeit wenigstens ein bisschen Kraft zu spenden scheinen.

„Die letzten Männer von Aleppo“
DK/D/SYR 2017, 104 Min., o. A.,
R: Feras Fayyad und Steen Johannessen,
im Abaton; riseandshine-berlin.de/aleppo