Berlin.
Frankfurt, 1957: Bernhard Grzimek und Sohn Michael steigen in ein zebragestreiftes Kleinflugzeug und fliegen 10.000 Kilometer bis nach Tansania, Ostafrika. Es ist der Beginn einer Forschungsreise voller Mühen und Wunder, an deren Ende ein tragischer Unfall und ein Welterfolg stehen. Die Dokumentation „Serengeti darf nicht sterben“ gewinnt als erster deutscher Film einen Oscar – und hat bis heute nicht an Strahlkraft verloren. Damals, als Vater und Sohn den Naturpark ansteuerten, durch den die letzten großen Tierherden Afrikas zogen, wollten die britischen Kolonisten Straßen und Siedlungen bauen und die Tiere zum Abschuss freigeben. Bernhard und Michael Grzimek starteten eine Kampagne, die den Naturschutz bis heute prägt.
Grzimeks Bedeutung für den Naturschutz könne nicht hoch genug eingeschätzt werden, sagt der Biologe Christof Schenck. Er ist Geschäftsführer der von Grzimek 1950 wieder neu gegründeten Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF). In dessen Sinn betreibt die weltweit tätige Organisation in der Serengeti auch ein Forschungszentrum. Schenck ist sicher, dass es den größten Tierpark der Welt, die Serengeti, ohne Grzimek heute nicht mehr geben würde.
Affen und Leoparden live vor der Fernsehkamera
Am Anfang stand ein Deal: Aufgewachsen auf dem Bauernhof seines Vaters in Ostpreußen, flüchtete der promovierte Tierarzt nach dem Krieg nach Frankfurt. Dort überzeugte er die Stadt, ihm den stark zerstörten Zoo zu überlassen – und verhinderte so die Schließung. Nur 20 Tiere hatten die Bombenangriffe überlebt, darunter ein Schimpanse, zwei Kamele und mehrere Geier. Tatsächlich kamen zwei Monate später eine halbe Million Besucher, doppelt so viele wie vor dem Krieg. Mit Volksfesten und Veranstaltungen baute Grzimek den Frankfurter Zoo zum größten Vergnügungspark Hessens aus, dessen Direktor er bis zur Pensionierung 1974 blieb.
Vor dem Frankfurter Zoo erinnert ein Standbild an ihn: in Buschkleidung, mit einem Zebrababy als Schützling. Für den heutigen Zoodirektor Manfred Niekisch war Grzimek in vielem ein Vorreiter für moderne Zoos – etwa mit der Einrichtung einer Zooschule. Oder mit den Klappen an den Tierhäusern, die Tiere selbstständig öffnen können. Er schaffte Gitterkäfige ab, stattdessen vergrößerte er Flächen und befestigte Wassergräben.
Seine Zootiere ließ er in seiner legendären Livesendung „Ein Platz für Tiere“ als Botschafter auftreten. Zu jeder Sendung brachte der „Tieronkel“ eines mit: Die Affen und Leoparden zeigten sich als lebhafte Protagonisten, während der Mann mit dem unaussprechlichen Namen in näselndem Tonfall über ihr Verhalten in freier Wildbahn plauderte. In 175 Folgen richtete Grzimek seine Appelle für den Naturschutz an ein Millionenpublikum, 31 Jahre lang.
Zwar sind sich Tierschützer heute einig, dass Wildtiere nicht in ein Fernsehstudio gehören, ein genialer Schachzug war es dennoch. Durch dieses „Erlebnis“ schuf er ein Bewusstsein der Deutschen für die bedrohte Tierwelt. Seine Bekanntheit nutzte er als Motor für die damalige Ökologiebewegung: 1963 gründete er mit weiteren Honoratioren des Nachkriegsdeutschlands zunächst den WWF und später den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Kanzler Willy Brandt erklärte ihn Anfang 1970 zum Beauftragten der Bundesregierung für den Naturschutz, eine Stelle, die Grzimek bald quittierte, weil er zu wenig Einfluss nehmen konnte.
Viel lieber sorgte Grzimek für Aufmerksamkeit. ZGF-Chef Schenck hat festgestellt, „wie erstaunlich visionär er war, wie er die Klaviatur von Fundraising und Öffentlichkeitsarbeit beherrscht hat, welche Hartnäckigkeit er an den Tag legen konnte und wie massiv und trickreich er für Tiere und Naturlandschaften eingetreten ist“. So auch nach Rückzug der Kolonisten, als es galt, die neuen Führer Afrikas zu überzeugen – auch Diktatoren. Ihnen erzählte der Tierarzt von den Touristen, die in die Nationalparks kämen und dafür Eintritt zahlten. Die Botschaft „Naturschutz lohnt sich“ kam bei den Afrikanern gut an. In seiner TV-Sendung warb Grzimek für Pauschalreisen nach Afrika. Die gab es noch nicht, aber es zwang Reiseveranstalter zum Handeln. Allein in Tansania gibt es heute mehr als ein Dutzend Nationalparks, der Tourismus ist ein Milliardengeschäft.
Grzimek war seiner Zeit weit voraus: Zutiefst besorgt äußerte er sich immer wieder über die Zukunft von Erde und Menschheit. Und er nahm Anstoß an der entstehenden Massentierhaltung: Schon vor 50 Jahren filmte er illegal Legebatterien und schrieb besorgte Briefe an das Landwirtschaftsministerium, die man „heute noch genau so formulieren würde“, wie Schenck sagt. Nur den Klimawandel hatte Grzimek nicht kommen sehen.
In der Serengeti blieb der Wissenschaftler mit seinem Sohn ein Jahr. Sie rekonstruierten Wanderwege, indem sie Zebras und Antilopen farbige Bänder umbanden, zählten mit preußischer Gewissenhaftigkeit die Tiere und filmten alles. „Wir versuchen herauszufinden, wie viele Tiere dort leben und wohin sie im Laufe des Jahres wandern. Erst wenn man das weiß, kann man die Grenzen des Nationalparks richtig abstecken. So etwas ist noch nie versucht worden“, sagt Grzimek später im Film.
Die heutige ZGF-Station führt die Tierzählungen fort, sie bildet Ranger aus, betreibt eine Werkstatt, kooperiert mit den lokalen Gemeinden und sammelt wissenschaftliche Daten. „Wir haben zwar heute GPS und Kamerafallen – aber grundsätzlich machen wir genau das, was Grzimek schon damals gemacht hat“, sagt Schenck.
Die Ergebnisse von Grzimeks Zählung waren damals übrigens erschreckend – von einigen Arten gab es viel weniger Tiere als erwartet. Offenbar hatte eine durch Siedler eingeschleppte Rinderpest ein Großteil der Gnu-Antilopen getötet. Auch Wilderei und Vertreibung spielten eine Rolle. Heute wandern laut ZGF wieder 1,2 Millionen Gnus durch die Serengeti, der Elefantenbestand habe sich dank massiver Wilderei-Bekämpfung stabilisiert. Grzimeks Spendenaufrufe hatten der Zoologischen Gesellschaft den Grundstock von 34 Millionen Euro eingebracht.
Als Mensch indes war Grzimek fehlbar. Wohl der Karriere wegen trat er der NSDAP bei, leugnete dies aber später. Er hatte Affären, aus denen uneheliche Kinder hervorgingen, später heiratete er seine Schwiegertochter, Michaels Witwe. Kurz vor Ende der Dreharbeiten in der Serengeti war sein 24 Jahre alter Sohn tödlich verunglückt – das Flugzeug kollidierte mit einem Geier und stürzte ab. Der Vater setzte sich danach mehr denn je für den Bestand der Nationalparks ein. „Die Reste des afrikanischen Tierlebens sind ein kultureller Gemeinbesitz der Menschheit – genau wie unsere Kathedralen“, predigte er.
Grzimek starb 1987 in Frankfurt während einer Zirkusvorstellung. Seine Urne wurde neben der seines Sohnes Michael am Ngorongoro-Krater in der Serengeti beigesetzt. Auf Grzimeks Grabstein steht: „Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen.“