Berlin.

Schwer kranke Patienten können künftig Cannabis-Arzneimittel auf Rezept erhalten. Die Kosten für die Therapie tragen die gesetzlichen Krankenkassen. Deutschlands Ärzte begrüßen die Freigabe von staatlich kontrolliertem Cannabis auf Rezept. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Welche Patienten können künftig
leichter mit Cannabis-Medikamenten
behandelt werden?

Bereits jetzt dürfen etwa 1000 Kranke in Deutschland Cannabis-Medikamente einnehmen – aber nur per Sondererlaubnis. Eine exakte Definition der zu behandelnden Krankheitsbilder gibt es nicht. Und es wird sie auch in Zukunft nicht geben. Im neuen Gesetz ist das nicht geregelt.

Zielgruppe von Cannabis-Medikamenten sind schwer kranke Patienten. Wer dazuzählt, entscheidet ein Arzt. Er hat die Verantwortung für die Therapie und stellt ein Rezept aus. Darauf wird begründet, warum das Betäubungsmittel – und das ist Cannabis noch immer – verschrieben wird. Voraussetzung ist jeweils, dass keine andere Therapie hilft. Das bedeutet aber nicht, dass alle anderen Therapien zuvor durchprobiert sein müssen. „Im begründeten Einzelfall“, so das Bundesgesundheitsministerium, kann Cannabis auch zuvor angewendet werden. Jeder Arzt, der am Betäubungsmittelverkehr teilnimmt, darf Cannabis verordnen. Die Höchstmenge liegt bei 100 Gramm pro Monat und Patient.

Bisher werden laut Bundesärztekammer Menschen mit Multipler Sklerose (MS), Epilepsien, Querschnittslähmung, Neuropathie oder Rheuma mit Cannabis behandelt, aber auch HIV- und Krebspatienten, die unter Appetitlosigkeit oder Übelkeit leiden.

Was wird künftig verschrieben?

Nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) handelt es sich um Cannabis in pharmazeutischer Qualität. Für die Produkte gelten die Grundsätze der Arzneimittelsicherheit. Besondere Merkmale dabei: festgelegte und kontrollierte Wirkstoffgehalte.

Die Cannabis-Produkte sind in der Regel getrocknete Blüten der weiblichen Hanfpflanze, deren Wirkstoffe mithilfe eines Inhalationsgeräts verdampft und eingeatmet werden. Andere Formen sind Extrakte: ölige Lösungen, Tropfen, Tabletten oder Sprays. Auch Tees gibt es. Diese Form der Darreichung aber gilt als wenig wirksam. Eines stellt der BfArM-Präsidnet Karl Broich klar: „Vom Rauchen eines Joints raten wir ab!“

Ab wann wird es Cannabis auf
Rezept geben?

Vermutlich ab April dieses Jahres. Das Gesetz, das die Verordnung auf Rezept, den Anbau und die Kontrolle in Deutschland regelt, ist noch nicht in Kraft. Der neue Bundespräsident wird es aber vermutlich Ende März unterschreiben.

Woher kommen die Medikamente?

Die Mittel gibt es in der Apotheke. Diese bekommt den Medizin-Hanf vom Großhändler geliefert, der seine Ware wiederum vom Hersteller oder vom Importeur bezieht.

Bisher und auch in den nächsten Monaten noch werden die benötigten Cannabis-Blüten importiert – aus den Niederlanden, aber auch aus Kanada. Ab dem Jahr 2019 soll Hanf zu medizinischen Zwecken dann auch in Deutschland geerntet werden. Organisieren und kontrollieren wird das eine Cannabis-Agentur, die eine Abteilung des BfArM sein wird. Das Bundesinstitut legt dann auch den Preis fest.

Wie läuft das mit der Kostenüber-
nahme durch die Kassen?

Die Kostenübernahme durch die Kasse muss vor Therapiebeginn genehmigt werden. Die Kasse zahlt, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehört, dass es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt, dass es keine andere Therapie gibt und dass eine „spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht“, wie es im Gesetzestext heißt. Ob die Voraussetzungen gegeben sind, prüft der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK), wenn Cannabis zum ersten Mal verordnet wird. Falls der Versicherte im Rahmen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung behandelt wird, ist eine Entscheidung der Kasse innerhalb von drei Tagen zu fällen.

Was sind die Cannabis-Wirkstoffe?

Die hauptsächlich an der Wirkung von Cannabis beteiligten Inhaltsstoffe heißen Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Der Gehalt kann je nach Pflanzensorte stark variieren. THC ist eine psychoaktive Substanz, die in das zentrale Nervensystem eingreift und Sinneseindrücke verändert sowie berauschend wirkt.

Wie ist die medizinische Wirkung
erforscht?

Systematisch erforscht wird die Wirkung erst seit Kurzem. Besonders weit ist die Wissenschaft in Kanada und den USA, wo Cannabis schon länger als Medizin zugelassen ist.

Gute wissenschaftliche Belege gebe es dafür, dass Cannabis bei chronischem Schmerz helfen kann und bei Übelkeit während einer Chemotherapie besser wirkt als ein Placebo, heißt es in dem aktuellen Bericht der Nationalen US-Akademie der Wissenschaften von Januar. Mehr als 10.000 Zusammenfassungen wissenschaftlicher Veröffentlichungen waren dazu ausgewertet worden. Ebenso könne Cannabis die schmerzhaften Muskelanspannungen und Verkrampfungen bei Multipler Sklerose oder Schlafstörungen durch Glieder- und Muskelschmerzen (Fibromyalgie) lindern. Für die vielen anderen gesundheitlichen Annahmen gebe es nur wenige oder gar keine Belege. Mediziner Franjo Grotenhermen, Vorsitzender einer internationalen Arbeitsgemeinschaft für Cannabis als Medizin, ist sich sicher: „Cannabis ist kein Wundermittel, es ist eine Möglichkeit.“ Wie genau Cannabinoide im komplexen menschlichen Organismus wirkten, bleibe weiter offen, sagt auch Burkhard Hinz, Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Universitätsmedizin Rostock. Keine fundierten Erkenntnisse gebe es auch über die Wirkung der Cannabinoide bei Tumorerkrankungen wie Krebs.

„Trotz zahlreicher Veröffentlichungen ist die Menge der tatsächlich auswertbaren wissenschaftlichen Daten derzeit noch gering“, teilte das BfArM am Freitag mit. Daher komme einer Begleiterhebung, die künftig in der Bundesopiumstelle durchgeführt werde, eine besondere Bedeutung zu. Ärzte melden dazu dem BfArM anonymisierte Daten zur Therapie mit Cannabis-Arzneimitteln, die über fünf Jahre gesammelt und ausgewertet werden. „Diese Daten werden im Anschluss eine grundsätzliche Einschätzung zulassen, ob die Anwendung von Cannabis-Arzneimitteln in nicht zugelassenen Indikationen mehr Chancen als Risiken beinhaltet. Sie können damit Grundlage sein für die weitere klinische Forschung mit Cannabis-Arzneimitteln mit dem Ziel, langfristig die Zulassung von Fertigarzneimitteln auf Cannabis-Basis zu erreichen“, so das Institut.

Ist Cannabis nun grundsätzlich
erlaubt?

Cannabis bleibt eine illegale Droge, die unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. Besitz, Anbau und Handel sind verboten. „Es geht hier tatsächlich nicht um Kiffen oder Joint auf Rezept“, sagt Gesundheitsstaatssekretär Lutz Stroppe. Eine Freigabe von Cannabis als Rauschmittel sei nicht geplant.