Leipzig.

Ulrich Koch hat seinen Kampf gewonnen. 13 Jahre lang tat er alles, damit Sterbenskranke ihrem Leid ein Ende setzen können. Das hatte der 74-Jährige seiner Frau versprochen, die große Qualen litt und in die Schweiz fahren musste, um von ihrem Leid erlöst zu werden. Seit gestern ist Kochs Wunsch Realität: Das Bundesverwaltungsgericht fällte ein wegweisendes Urteil, wonach Menschen in Extremfällen bestimmen dürfen, wie und wann sie sterben wollen.

Schwer kranken Patienten darf der Staat in ganz bestimmten Ausnahmefällen den Zugang zu einer tödlichen Dosis Betäubungsmittel für einen Suizid nicht mehr verwehren. Gemäß dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes hätten sie das Recht, über ihr Sterben zu entscheiden – vorausgesetzt, sie können ihren Willen frei bilden und danach handeln, hieß es zur Begründung. Allerdings machten die Bundesverwaltungsrichter klar, dass es bei dem Urteil nur um Ausnahmen in ganz besonderen Einzelfällen gehen könne. Grundsätzlich sei es nach den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes nicht möglich, den Erwerb einer tödlichen Dosis zum Zweck des Suizids zu erlauben.

Es sei aber „eine Ausnahme für schwer und unheilbar kranke Patienten zu machen, wenn sie wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, und ihnen keine zumutbare Alternative – etwa durch einen palliativmedizinisch begleiteten Behandlungsabbruch – zur Verfügung steht“.

Die Frau des Klägers erlebtdie Entscheidung nicht mehr

Ulrich Koch empfindet das Urteil als Genugtuung. Seine Frau Bettina war 2002 vor ihrer Haustür schwer gestürzt und fortan vom Hals abwärts gelähmt. Sie litt unter großen Schmerzen, musste künstlich beatmet werden. Das Leben wurde ihr zur Qual. Deshalb wandte sie sich ans Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Sie fragte nach einer in hohen Dosen tödlichen Arznei, doch die Behörde lehnte ihren Antrag ab: Betäubungsmittel dürften nur für die notwendige medizinische Versorgung abgegeben werden.

2005 nahm sich die 53-Jährige mithilfe des Sterbehilfevereins Dignitas in der Schweiz das Leben.

Noch zu Lebzeiten gab Ulrich Koch seiner Frau das Versprechen, für ihr Recht auf einen selbstbestimmten Tod zu kämpfen. Doch die deutschen Gerichte lehnten seine Klage ab. Siebenmal beschäftigten sich Richter mit dem Fall – bis das Bundesverfassungsgericht gestern endlich Klarheit schuf. Koch wollte festgestellt wissen, dass die Weigerung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte rechtswidrig war. Das hat der 3. Senat in Leipzig nun so entschieden. Damit öffnete es für ähnlich gelagerte extreme Fälle einen bisher versperrten Weg.

Die Richter argumentierten mit dem Grundgesetz: „Aus Sicht des Senats ist die entscheidende Frage, wie es verfassungsrechtlich zu sehen ist“, sagte die Vorsitzende Richterin Renate Philipp in der mündlichen Verhandlung. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen aus Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes schütze auch das Recht des Einzelnen, seinem Leben ein selbstbestimmtes Ende zu setzen. Es ist eine grundsätzliche Entscheidung. Das Gericht ließ offen, ob Bettina Koch tatsächlich so ein extremer Einzelfall gewesen wäre. Das Bundesinstitut hätte das damals prüfen müssen. „Diese Prüfung lässt sich nach dem Tod der Ehefrau des Klägers nicht mehr nachholen.“

So zufrieden Ulrich Koch ist, so entsetzt zeigte sich die Deutsche Stiftung Patientenschutz über das Urteil. Die Entscheidung sei praxisfern, kritisierte Vorstand Eugen Brysch gegenüber dieser Zeitung. „Denn was eine unerträgliche Leidenssituation ist, bleibt offen. Dies soll nun die Voraussetzung sein, um über das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ein Selbsttötungsmittel zu erhalten. Doch Leiden ist weder objektiv messbar noch juristisch allgemeingültig zu definieren.“ Die Entscheidung sei zudem ein „Schlag ins Gesicht der Suizidprävention in Deutschland“.

Ulrich Koch sieht das anders. Mit dieser bahnbrechenden Entscheidung hatte er gar nicht gerechnet, als er vor das Leipziger Gericht zog. Er habe sich schon auf den Gang vor das Bundesverfassungsgericht gefasst gemacht. Ist das Urteil nun das Ende seines langen Kampfes? „Möglicherweise“, sagt sein Anwalt. Er und sein Mandant wollen das Urteil sorgfältig prüfen. „Aber schon jetzt hat sich gezeigt, dass es sich lohnt, durchzuhalten und zu kämpfen.“