as Tattoo ist heutzutage längst ein fester Bestandteil des popkulturellen Mainstreams. Man vergisst über seiner Wahrnehmung als Modeschmuck häufig seine rituelle Bedeutung in vielen Kulturen. Die eisenzeitlichen Skythen etwa nutzten sie sehr großflächig genauso wie verschiedene Kulturen in Mikronesien, Polynesien und etwa indigene Bevölkerungen bis heute.

Das Tattoo dient als Zeichen der Zugehörigkeit, als Schmuck oder auch als sakrales Symbol. Hamburg war schon früh Zentrum eines wahren Meisters dieser Kunst. Christian Warlich wurde sogar als „König der Tätowierer“ international berühmt. „Er war einer der sagenumwobendsten, ikonenhaftesten Tätowierer des 20. Jahrhunderts und wird bis heute stark rezipiert“, so der Wissenschaftler Ole Wittmann. „Seine Vorlagen sind unter Tätowierern bis heute populär und werden weiter verwendet.“

Wittmann erforscht seit Dezember 2015 den Nachlass Warlichs in Zusammenarbeit mit dem Museum für Hamburgische Geschichte. Das Museum hat einen Teil des Nachlasses erworben, ein anderer Teil lagert in Privatbesitz und wartet darauf, von Wittmann gefunden zu werden. Tag für Tag sichtet er nun Vorlagenbücher, Zeichnungen, Tätowiergeräte, Fotografien, Korrespondenzen und betreibt ausführliche Biografieforschung, um auch Menschen zu finden, die Tätowierungen von Warlichs Hand haben. Das Museum für Hamburgische Geschichte verfügt auch über von Warlich entfernte Hautstücke mit Tätowierungen. Das ging in den Zeiten vor der Lasertechnik nur mit scharfer Chemie. Auch das ist in Form von Fotografien dokumentiert.

„Warlich verfügte über eine extrem hohe künstlerische Qualität und außergewöhnliches handwerkliches Können“, erzählt Ole Wittmann. Das zeigt sich schon an seinen Motiven, die gegenüber vielem, was man heutzutage sieht, äußerst stilvoll wirken, etwa die japanische Geisha im Rosenkimono samt Fächer oder der Adler, der gegen die Schlange kämpft, und in seinen ausgefeilten Vorlagenzeichnungen.

Die unvermeidlichen Matrosenmotive, die sich Seeleute traditionell als bleibende Erinnerung aus Hafenstädten mitnehmen, finden sich natürlich auch bei Christian Warlich. Schließlich lebte und arbeitete er selbst in einer Hafenstadt, natürlich auf St. Pauli, wo er seit 1919 in einem abgetrennten Bereich seiner eigenen Bar „Gaststätte Warlich“ ein Studio unterhielt. Bis zu seinem Tod 1964 hat er hier gewirkt. Warlich fuhr auch selbst zur See.

Ein Besuch New Yorks ist ebenfalls überliefert, der ihn wohl zu etlichen Motiven inspiriert hat. „Christian Warlich war der Erste in Deutschland, der ein sehr professionelles Gewerbe betrieben hat“, so Ole Wittmann „Er hat eine richtige Distribution aufgebaut, Maschinen und Zubehör auch an Hautkliniken und Ärzte verkauft und Werbung betrieben. Er hat das sehr durchdacht aufgezogen.“

Die Ergebnisse erlauben interessante Rückschlüsse auf den Wandel des bleibenden Körperschmucks vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Wittmann bettet seine Erkenntnisse auch ein in die US-amerikanische, englische und ostasiatische Tätowierung. Am Ende seiner Forschungen soll eine umfassende Nachlasspublikation stehen. Auch das legendäre Vorlagenbuch Christian Warlichs soll neu aufgelegt werden.

Annette Stiekele