Die Groteske „Neruda“ spielt mit Dichtung und Wahrheit

Das Ideal eines linken, engagierten Poeten sieht anders aus: Er sollte nicht so lustvoll Champagner schlürfen und Bordelle besuchen und besser auch nicht so beleibt sein, wie es jener Pablo Neruda im Film des chilenischen Regisseurs Pablo Larraíns ist. Aber die launige, joviale und durchaus komödiantisch angelegte Interpretation des späteren Nobelpreisträgers durch den Schauspieler Luis Gnecco ist ein Schlüsselelement von „Neruda“. Anders als der Titel vermuten lässt, handelt es sich nämlich nicht um ein Biopic, sondern eher um eine Geschichtsgroteske.

Deren „Witz“ mag am Ende darauf hinauslaufen, dass die historische Person Pablo Neruda der Darstellung in Larraíns Film vielleicht ähnlicher war, als es seinen Verehrern – und wahrscheinlich auch ihm selbst – recht ist. Ähnliches gilt aber auch für seinen filmischen Gegenspieler, einen von Gael Garcia Bernal gespielten Polizisten, der im Laufe der Groteske selbst erkennen muss, dass er eine „erfundene Figur“ ist. Was eben nicht heißt, dass es die politische Verfolgung, die er im Film mit ausgestellter Trottelhaftigkeit betreibt, nicht doch in der Wirklichkeit gab.

In „Neruda“ geht es um eine Zeit, die für die Legende des Dichters prägend wie keine andere war. 1945 hatte er sich als Kandidat der kommunistischen Partei in den chilenischen Senat wählen lassen. Aus dieser Position heraus kritisierte er den damaligen Präsidenten scharf, der kurz darauf dafür sorgte, dass Neruda die Immunität entzogen wurde.

Der angeordneten Verhaftung entkam Neruda, wie es heißt, in letzter Minute. Die nächsten Jahre verbrachte er auf der Flucht, fast jede Nacht die Behausung wechselnd und, so eben die Legende, immer wieder untergebracht, versteckt und versorgt von jenen „einfachen Leuten“, die seine Poesie so liebten. Und natürlich soll Neruda genau in dieser Zeit dann sein großes Werk, den „Canto General“, geschrieben haben, inspiriert von dem, was er sah ...

Larraín stellt in seinem Film das Legendenhafte, Erfundene dieses Dichterlebens aus, indem er seinen Helden durch gemalte Kulissen schreiten lässt und eben einen historisch nicht belegten, fiktiven Polizisten auf ihn ansetzt. Letzterer ist der Erzähler des Films – und natürlich entsprechend unzuverlässig. Er neigt zur Übertreibung vor allem der eigenen Rolle, aber paradoxerweise kommt das letzten Endes doch immer der Dichterfigur Neruda zugute.

Das Spiel mit Dichtung und Wahrheit, Groteske und Realismus, Künstlichkeit und Naturalismus ist dabei vor allem für diejenigen ein Vergnügen, die sich mit lateinamerikanischer Geschichte, linken Mythen und Nerudas Werk schon ein wenig auskennen. Die naive Hoffnung von weniger Eingeweihten, hier etwas über chilenische Geschichte und Nerudas Biografie zu erfahren, enttäuscht Larraín mit Absicht: Er will das Idol vom Sockel holen, aber nicht, um es zu denunzieren oder zu beschädigen, sondern um es zu befreien. Was von Neruda bleibt, kann heute jeder selbst für sich bestimmen.

„Neruda“ CHI/ARG/F/E 2016, 108 Min., ab 12 J., R: Pablo Larraín, D: Gael García Bernal, Luis Gnecco, Mercedes Morán, täglich im 3001 (OmU), Abaton, Blankeneser, Zeise; www.neruda-der-film.de