Berlin.

Wer schon einmal versucht hat, den Inhalt seines Kleiderschranks auf sozial und ökologisch nachhaltig umzurüsten, weiß: Es ist viel Arbeit. Und am Ende bleibt trotzdem das Gefühl, nicht ganz konsequent gewesen zu sein. Denn einfach zu beschließen: „Made in China“ oder „Made in Bangladesch“ kommt nicht mehr in die Einkaufstüte – das ist zu leicht.

Zwar gibt es in Deutschland einige Label, die für die einen oder anderen Standards stehen (s. Text links). Perfekt ist keines, Experten sprechen eher von „bestmöglich“. Für den Kunden ist ein Label ein einfaches Instrument, unabhängig davon wie aussagekräftig es ist. „Im Moment kauft man sich damit ein gutes Gefühl“, sagt Jochen Strähle, Professor für International Fashion Management von der Hochschule Reutlingen.

Das Problem in der Textilbranche sind lange Wertschöpfungsketten. Sie sind mit all ihren Subunternehmen so verschachtelt, dass Unternehmen sie kaum überblicken. So zeigte eine gerade veröffentlichte Studie der niederländischen Nichtregierungsorganisation Somo die Missstände in myanmarischen Textilfabriken auf. Es ging etwa um unbezahlte Überstunden und minderjährige Fabrikarbeiter. Auch Unternehmen, die der Fair Wear Foundation (FWF) angehörten, ließen in den Fabriken produzieren. Die Organisation setzt sich vor allem für bessere Arbeitsbedingungen ein. Deren Vizechefin sagte dann auch in einem Interview mit „Spiegel Online“, es sei nahezu unmöglich, zu hundert Prozent fair produzierte Kleidung zu finden.

Es geht darum, Prozesse in den Ländern anzustoßen

„Es gibt nicht das eine perfekte Label“, bestätigt Alexandra Perschau, Textilexpertin bei Greenpeace. Die aktuelle Studie sei ein gutes Beispiel dafür. „Worauf es aber abgesehen von einem Label ankommt, ist Transparenz“, sagt sie. Zu lange habe sich die Textilindus­trie darauf ausgeruht, keine Verantwortung für ihre Lieferketten zu übernehmen. „Das ist nicht mehr zeitgemäß.“

Perschau rät Konsumenten, sich etwa die drei liebsten Geschäfte oder Marken herauszusuchen und gezielt zu gucken: Gehen sie diesen Weg der Transparenz? So habe Lidl gerade die Liste seiner Lieferanten öffentlich gemacht. Stellen die Unternehmen diese Informationen jedoch nicht zur Verfügung, ist es für den Kunden unmöglich, sich diese selbst zu beschaffen. Nicht einmal, wenn ein Produkt vom Garn, über die Knöpfe bis hin zu den verwendeten Farben in Deutschland hergestellt wurde.

Aber selbst wenn – ist das die Lösung für ethischen Konsum? Kleidung „Made in Germany“, aus kleinen Manufakturen mit regionaler Anbindung? Nein, sind sich alle Experten einig. Die Beschreibung „Made in Bangladesch“ sagt nichts darüber aus, unter welchen Bedingungen ein Kleidungsstück hergestellt wurde. „Außerdem geht es ja auch darum, dass Prozesse in Ländern angestoßen werden“, sagt Sandra Dusch von der Christlichen Initiative Romero, die auch Gründungsmitglied der „Kampagne für Saubere Kleidung“ ist. Auch Alexandra Perschau hält den ausschließlichen Kauf von Produkten „Made in Germany“ für utopisch und „das ist in einer globalisierten Welt auch nicht angebracht“.

Bleibt die Frage, wie sich der Konsument möglichst ethisch korrekt kleiden kann, ohne dafür eine weltweite Investigativrecherche anstellen zu müssen. Für Sandra Dusch sind zwei Punkte von Bedeutung: erstens, ein glaubwürdiges Siegel. Sie empfiehlt etwa eine Kombination aus Fair Wear Foundation, die besonderen Wert auf soziale Standards legt, und dem Fair Trade Siegel – obwohl die niederländische Studie Missstände in Fabriken festgestellt hat, wo auch FWF-Unternehmen produzieren ließen. „Sozialstandards lassen sich nicht über Nacht umsetzen. Es sollen Strukturen aufgebaut werden. Das dauert seine Zeit“, sagt Dusch. Es gehe darum, Dinge langfristig zu verbessern.

Dazu gehören auch langfristige Partnerschaften zwischen Unternehmen und den produzierenden Fabriken. „Es fehlt auf beiden Seiten oft an Wissen“, sagt Textilexpertin Perschau. Strähle bestätigt das: „Es sind ja unterschiedliche kulturelle Hintergründe, die aufeinandertreffen. Es muss eine Partnerschaft auf Augenhöhe entstehen.“

Der zweite Punkt, der für Sandra Dusch beim Einkaufen von Bedeutung ist: „Ich frage mich immer, ob ich das entsprechende Kleidungsstück auch wirklich brauche.“ Die Idee dahinter: Der sogenannten Fast-Fashion-Indus­trie etwas entgegensetzen. Gab es früher zwei Kollektionen im Jahr – Sommer und Winter – sind es heute bei Ketten wie H&M und Zara laut der Unternehmensberatung McKinsey bis zu 24. Die weltweite Textilproduktion habe sich seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Das Modekarussell dreht sich das ganze Jahr über und die Kleidung ist dabei zum Teil so günstig, dass ihre Lebensdauer über den Einsatz der Party am Freitagabend nicht hinausgeht. Im Schrank muss Platz für Neues her.

Laut einer repräsentativen Umfrage von Greenpeace aus dem Jahr 2015 besitzt jeder erwachsene Deutsche zwischen 18 und 69 Jahren 95 Kleidungsstücke. Unterwäsche und Socken ausgenommen. Das sind mehr als fünf Milliarden Stücke, die sich in deutschen Schränken drängen. Jedes fünfte davon wird laut Greenpeace so gut wie nie getragen.

„Dieses Fast-Fashion-System ist letztlich viel entscheidender als der einzelne Fabrikbesitzer“, sagt Alexandra Perschau von Greenpeace. Immer mehr Kleidung muss in immer kürzerer Zeit produziert werden. „Das baut großen Druck auf, und dabei bleiben Menschen und Umwelt allzu oft auf der Strecke.“

In diesem System helfe dann auch nicht der Kauf eines T-Shirts aus Biobaumwolle, sagt Jochen Strähle. „Wenn ich das dann ständig wasche, in den Trockner tue und es nach einem halben Jahr in den Müll werfe, ist seine Ökobilanz wahrscheinlich nicht besser als von einem konventionellen Shirt, mit dem ich sorgsam umgehe.“ Es sei das Verhalten der Konsumenten, das Einfluss habe.

Tauschen, mieten, Secondhand

Doch die Experten sind sicher: das System wird sich ändern. Langsam aber doch. „Die Menschen wissen inzwischen immer mehr. Sie kennen die Bilder des einstürzenden Rana Plaza in Bangladesch“, sagt Strähle. Die Bereitschaft beim Konsumenten, ethisch produzierte Mode zu kaufen, steige, weiß der Textilexperte. Das Problem sei im Moment noch, dass das entsprechende Angebot fehle. Noch ist es mit viel Mühe verbunden, ethisch korrekte Kleidung zu kaufen. Die Experten schlagen eine andere Form des Konsums vor: tauschen, mieten, Secondhand. Auch das stillt das Bedürfnis nach Konsum, aber nicht auf Kosten von Menschenrechten und Umwelt.