Das Drama „Elle“ erzählt eindringlich – und mit einer grandiosen Isabelle Huppert – von einer Vergewaltigung und den Folgen

Bei seiner Premiere in Cannes wurde Paul Verhoevens „Elle“ mit Begeisterung aufgenommen, aber auch mit gemischten Gefühlen. Was für die einen eine „schwarze Komödie“ war, hatten die anderen als „Rachefantasie“ erlebt, in der eine Frau Vergeltung an ihrem Vergewaltiger nimmt. Diese Widersprüchlichkeit macht den Film so interessant.

Die Vergewaltigung steht gleich am Anfang. Zunächst ist es vor allem ein Geschehen auf der Tonspur, zu der der gleichgültige Blick einer Katze gezeigt wird. Erst später enthüllt der Film mehr von dem gewalttätigen Übergriff, ganz so, als werde das Opfer Michèle (Isabelle Huppert) wieder und wieder von der Erinnerung überfallen. Statt der indifferenten Katze ist es dann das Gesicht von Michèle, das schwer zu lesen ist. Man denkt sich, dass es doch eine traumatische Erfahrung für die 50-Jährige gewesen sein muss, aber man sieht ihr keine Erschütterung an. Ihrem Sohn Vincent (Jonas Bloquet) erzählt sie, sie sei gestürzt. Es verstreichen Tage, bevor sie Freunden und ihrem Exmann davon berichtet.

Selten hat man eine Frauenfigur im Kino die Opferrolle derartig konsequent zurückweisen sehen wie Michèle. Ihre Chefinnenrolle – sie leitet ein Computerspiel-Unternehmen, das genau das verkauft, was ihr widerfahren ist: sexualisierte Gewalt – trägt dazu bei, aber auch allen anderen gegenüber scheint sie stets bemüht, die Oberhand zu behalten.

So souverän und unverletzlich wirkt diese Frau, dass der Zuschauer die Vergewaltigung vom Angang fast vergisst – oder, noch irritierender, dass man bereit ist, sie anders zu interpretieren. War das Ganze vielleicht ein Spiel? Es geht viel um Lug und Betrug, und weil die Protagonisten dazu so bissige Bemerkungen machen, glaubt man sich zwischendurch in einer Screwball-Comedy. Aber dann wird eine düstere Seite des Geschehens enthüllt, die der „komödiantischen“ Sichtweise zu widersprechen scheint.

„Elle“ lebt von seiner Hauptdarstellerin Isabelle Huppert, die das Kunststück vollbringt, sowohl undurchdringlich zu wirken als auch eine Vielfalt an Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Was immer das Drehbuch ihr an überraschenden Wendungen in den Weg stellt, sie meistert sie mit schillernder Vieldeutigkeit – und behält dabei auch gegenüber dem­ ­Zuschauer stets die Oberhand.

„Elle“ F 2016, 130 Min., ab 16 J., R: Paul Verhoeven, D: Isabelle Huppert, Laurent Lafitte, Christian Berkel, im 3001 (OmU), Abaton (OmU), Koralle, Passage, Zeise (OmU); www.mfa-film.de/kino/id/elle