Magdeburg.

Auf Knopfdruck erkennen, ob Obst Pestizide enthält, ob die Zimmerpflanze krank ist und sogar, ob sich Hautkrebs bildet – das alles soll eine neue App können, die Forscher des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF) in Magdeburg nun entwickelt haben. Da das kleine Programm stetig dazulernt, sind seine Anwendungsmöglichkeiten nahezu unbegrenzt.

Es sieht unspektakulär aus: Das Smartphone-Display leuchtet kurz hintereinander rot, grün und dann blau. Schon ist die Analyse eines Apfels abgeschlossen. Und genau in dieser Einfachheit liegt die Errungenschaft, erklärt Professor Udo Seiffert. Er leitet das Kompetenzfeld Biosystems Engineering am IFF. Schon seit 2006 bringt Seiffert Maschinen das Lernen bei. Seit 2008 entwickelt er mit dem Fraunhofer-Institut Systeme aus mathematischen Modellen und hochempfindlichen sogenannten Spektralkameras für die Landwirtschaft. „Die Geräte hängen normalerweise an Drohnen, an Traktoren, über Förderbändern“, so Seiffert. Montiert an einem Flugzeug schickten die Wissenschaftler eine Kamera schon über riesige Weinfelder in Südaustralien. Ihr System verriet ihnen im Anschluss, wo einzelne pilzbefallene Reben stehen und welcher Pilz ihnen zu schaffen macht. In klein soll das nun auch auf dem Smartphone funktionieren – ohne zusätzliche Kamera. Doch wie?

Eine Spektralkamera wirft Licht auf Gegenstände – wie zum Beispiel auf einen Apfel – und ermittelt, wie viel Licht der verschiedenen enthaltenen Farben er zurückwirft. Daraus entsteht ein spektraler Fingerabdruck, den ein an die Kamera angeschlossenes mathematisches Modell als Kurve darstellt. Selbst kleine chemische Veränderungen, wie etwa die Moleküle eines Pestizids, die auf der Oberfläche eines Apfels lagern, verändern diese Kurve. „Die Herausforderung ist nicht nur diese Unterschiede zu finden, sondern sie zuzuordnen“, erklärt Seiffert. Das muss das Programm erst lernen. „Dafür wird eine Stichprobe ausgewählt. Zum Beispiel werden zehn Äpfel einer Sorte ohne Pestizide erfasst und zehn Äpfel der gleichen Sorte, die mit Pestiziden behandelt wurden“, so Seiffert. Hat das System gelernt, welche Kurve „Apfel ohne Pestizid“ und welche Kurve „Apfel mit Pestizid“ bedeutet, kann es diese Kategorien auf jeden weiteren Apfel der gleichen Sorte anwenden und auch angeben, wie sicher es sich bei seinem Ergebnis ist. „Je größer die Stichprobe, desto genauer sind die Ergebnisse“, so Seiffert.

Von Schminkhilfe bis Krebsanalyse

Das System hinter dem spektralen Fingerabdruck ist nicht neu. Doch die Fraunhofer-Wissenschaftler sind die ersten, die es geschafft haben, den hochkomplexen Vorgang auf ein handelsübliches Smartphone zu bannen. „Am Anfang waren wir auch skeptisch. Wir hatten das Know-How, aber waren unsicher, ob unser System die begrenzte Leistung eines Smartphones ausgleichen kann“, erinnert sich Seiffert. Es konnte. Zwei Jahre arbeiteten die Wissenschaftler daran, bekamen einen Forschungsvorschuss von mehreren 100.000 Euro, 2016 meldeten sie das Patent für „Hawk Spex mobile“ an. Im Gegensatz zu den hochempfindlichen Spektralkameras, die Licht von Infrarot bis Ultraviolett wahrnehmen, sind Handykameras auf Aufnahmen für das menschliche Auge spezialisiert, also in ihrem Lichtspektrum eingeschränkt, und senden auch selbst kein Licht. Hier machten sich die Forscher das Handydisplay zunutze.

Es beleuchtet Gegenstände nacheinander in den drei Grundfarben Rot, Grün und Blau. Die Frontkamera des Smartphones muss dann nicht mehr die Leistung erbringen, das zurückgeworfene Licht der verschiedenen Farbspektren auseinander zu dividieren, sondern erfasst nacheinander, wie viel rotes, grünes und blaues Licht ein Gegenstand zurückwirft. „Unterstützt durch die intelligenten Auswertealgorithmen der App wird die eingeschränkte Leistung des Handys so kompensiert“, sagt Seiffert. Um Streulicht aus der Umgebung auszugleichen, leuchtet das Display vor der Messung einmal Weiß und einmal Schwarz. „Vor einfallendem Sonnenlicht müssen Nutzer das Display gegebenenfalls mit der Hand schützen“, ergänzt Seiffert und offenbart damit auch die Schwächen des Systems, das von der korrekten Nutzung durch den Handybesitzer abhängt. Welches Gerät dabei zum Einsatz kommt, soll hingegen keine Rolle spielen, sagt Seiffert: „Wir haben die App mit unterschiedlichsten Modellen durchprobiert, die Unterschiede wirken sich nicht auf die Ergebnisse der App aus.“

Das Fraunhofer Institut wird die Anwendung nicht selbst vermarkten, sondern Lizenzen vergeben. Ende 2017 könnten die ersten dieser Lizenzprodukte erscheinen. Interessenten gibt es laut Seiffert schon sehr viele, „vor allem aus dem Lebensmittelbereich, aus der Kosmetikindustrie und der Landwirtschaft“. Kosmetikanbieter könnten ihre Kunden mit der App etwa ihren eigenen Hauttyp analysieren lassen. „Fettig, trocken, empfindlich – das sind alles Parameter, die man der App mit einer entsprechend großen Anzahl von Testpersonen beibringen kann“, erklärt Seiffert. Basierend auf der selbst mit dem Handy durchgeführten Analyse würde die App, so vermutet der Wissenschaftler, dann ein Produkt des jeweiligen Lizenznehmers anbieten. Eine bestimmte Creme oder ein zum Hautton passendes Make-up. Aber auch im medizinischen Bereich könnte die App relevant werden – etwa bei der Hautkrebserkennung. „Leberflecken werden bislang ja vor allem anhand ihrer geometrischen Merkmale analysiert, die App könnte biochemische Merkmale auf der Haut messen und die Analyse ergänzen“, erklärt Seiffert. Sollte eine Supermarktkette, ein Lebensmittelhersteller oder auch eine Verbraucherschutzorganisation sich entschließen, eine Lizenz für die App zu erwerben, könnten Verbraucher bestimmte Lebensmittel auf Pestizide, auf Zucker und Salzgehalt und auf zahlreiche weitere Parameter prüfen, die sich an der Oberfläche messen lassen. Ob Fisch, Fleisch und Co. schon verdorben sind, würde die App allerdings nur erkennen, wenn ihr vorher beigebracht wurde, diesen Zustand zum Beispiel an der Farbe zu erkennen. „Viren oder Bakterien selbst kann die App nicht erkennen, dafür sind Smartphone-Kameras nicht gut genug“, erklärt Seiffert.

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