Berlin/Warschau.

Auf der Spur sind ihm Justiz und Polizei seit Jahren. Doch Arkadiusz Lakatosz, genannt „Hoss“, einer der einflussreichsten in Deutschland tätigen Betrüger, kann sich immer wieder dem Gefängnis entziehen. Vergangenen Donnerstag war es polnischen Ermittlern gelungen, den mit mehreren EU-Haftbefehlen gesuchten angeblichen Erfinder des Enkeltricks festzunehmen. Der Erfolg war allerdings nicht nachhaltig: „Hoss“ ist wieder auf freiem Fuß.

Ein polnischer Haftrichter musste ihn drei Tage nach der Festnahme wieder laufen lassen, berichtet Spiegel TV. Der Grund: sein angeblich schlechter Gesundheitszustand. Lakatosz sei nicht haftfähig. Was verwundert: Der Gesuchte habe nicht einmal ein Attest vorlegen müssen. Der Richter habe seinen Schilderungen geglaubt und ihn gegen Kaution von umgerechnet rund 70.000 Euro in die Freiheit entlassen.

Der 49-Jährige muss sich demnach fortan fünfmal wöchentlich auf einer Warschauer Polizeiwache melden. Doch solche Auflagen haben den schillernden Verbrecher schon früher nicht an einer Flucht gehindert.

Bereits mehrfach standen die deutschen Behörden kurz vor einem Fahndungserfolg. Im Mai 2014 wurde er nach jahrelangen Ermittlungen in Warschau verhaftet. Lakatosz bezahlte angeblich eine Kaution in Höhe von umgerechnet 120.000 Euro und wurde freigelassen. Dann tauchte er ab – bis zu seiner erneuten Festnahme.

Bereits 2007 gab es einen Haftbefehl gegen Lakatosz von der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Daraufhin soll er einem Arzt 25.000 Euro für ein Gutachten bezahlt haben, dem zufolge er wegen eines Herzleidens haftunfähig sei. Das berichteten damals mehrere deutsche Medien, offiziell bestätigt wurde die Geschichte indes nicht.

Arkadiusz Lakatosz gilt in Ermittlerkreisen als so professionell wie skrupellos. Der Legende nach soll er die Enkeltrick-Masche in den 90er-Jahren in Hamburg erfunden haben, wo er damals lebte. Die Masche ist so einfach wie perfide: Die Täter durchsuchen systematisch Telefonbücher nach Namen wie Erna, Helga oder Erich, die gemeinhin nur noch ältere Menschen tragen. Dann rufen sie an: „Rate mal, wer hier ist!“ Wenn das Opfer einen Verwandten zu erkennen glaubt, kommen die Anrufer schnell auf eine Notlage zu sprechen, in der sie sich befänden und wegen der sie dringend Bargeld bräuchten. Sobald der Senior verspricht, das Geld zu besorgen, informiert der Anrufer einen Kurier, der die Beute nach der Übergabe direkt nach Polen bringt.

Durch den Enkeltrick wurdeer zum Multimillionär

Die Summen sind gewaltig, häufig verlieren die Opfer ihre gesamten Ersparnisse. 2015 machten Enkeltrick-Betrüger allein in München 600.000 Euro Beute. Einen besonders hohen Schaden erlitt ein Rentner aus Braunschweig, der den Betrügern im vergangenen Jahr 500.000 Euro übergab.

Lakatosz schien seinen Verfolgern häufig einen Schritt voraus zu sein. Bevor ihm die deutsche Polizei auf die Schliche kommen konnte, zog er von Hamburg nach Polen. Dort ging er jahrelang quasi ungestört seinem Geschäft nach. Ermittler sind sich sicher: Er steht an der Spitze eines großen Netzwerks. Es besteht aus mehreren Roma-Familien, die mehr oder weniger enge verwandtschaftliche Verbindungen zueinander haben. Lakatosz’ Sohn steht seit Mitte Januar vor dem Hamburger Landgericht.

Der Enkeltrick machte Lakatosz, der nur zwei Jahre Schulbildung genossen hatte, zum Multimillionär. Auch seine Komplizen leben von dem Geld betrogener deutscher Rentner im Luxus. Legendär sind die Partys des Clans, wie Filmaufnahmen belegen: Dickbäuchige Herren im Anzug und mit dunklen Sonnenbrillen küssen einander zur Begrüßung, es gibt Kaviar, Austern und Champagner edler Marken in rauen Mengen. Gäste werden eigens mit einem Helikopter eingeflogen – Szenen wie in einem Mafiafilm.

Bei den Ermittlern herrscht nach Lakatosz’ Freilassung Ernüchterung. „Er entzieht sich seit 16 Jahren jeder Verurteilung. Wir haben es hier mit einem Totalversagen der Justiz und Politik zu tun“, sagte ein deutscher Ermittler zu „Spiegel Online“. Es zeige die Machtlosigkeit der Staaten gegen das organisierte Verbrechen. Wie es nun weitergeht, und ob Lakatosz überhaupt zu einem Gerichtstermin erscheinen wird, ist völlig unklar.