Theaterabende über Religion und Reformation

500 Jahre ist die Reformation in diesem Jahr alt. Sie revolutionierte nicht nur das geistliche Leben, sondern legte die Basis für gesellschaftliche Entwicklungen. Die diesjährigen Lessingtage, sonst interkulturell ausgerichtet, stellen vor dem Hintergrund von Luthers Reformation die Frage nach der Zukunft einer kosmopolitischen Gesellschaft. Zur Luther­zeit entdeckten die Menschen ihre eigene Persönlichkeit und wurden unabhängiger gegenüber der Kirche und dem Staat mit Folgen für die bisherigen Autoritäten. Die Verpflichtung dem eigenen Gewissen gegenüber wurde zum höchsten Gut.

Erst mit dem Westfälischen Frieden 1648 galt die Reformation als abgeschlossen. Sie bereitete die Säkularisierung in ganz Europa vor, zog gewaltige Kriege nach sich, bevor sie 250 Jahre später die Französische Revolution vorbereitete und bei dem Hamburger Dichter Gotthold Ephraim Lessing Gedanken zu einer religiösen Toleranzphilosophie anstieß. Die Reformation führte mit Luthers Bibelübersetzung zu einer einheitlichen, allen Menschen zugänglichen deutschen Schriftsprache. Der Buchdruck sorgte für Verbreitung der Gedanken. Ein neues Bildungsideal entstand.

Im Zusammenhang mit der Reformationsbewegung fragt die Hamburger Regisseurin Jette Steckel in einer Inszenierung des Deutschen Theaters Berlin nach einer Neudefinition der Leitlinien in „Die 10 Gebote“. Ungewöhnlich für die Regisseurin, die sich gerne mit modernen Pop-Mitteln Klassikern nähert, ist der Projektcharakter. Elf Autorinnen und Autoren, unter ihnen Filmregisseure, Wissenschaftler und Songschreiber, versammelt die Liste der Beitragenden, unter ihnen Dea Loher, Sherko Fatah, aber auch die preisgekrönte Hamburger Autorin Nino Haratischwili und der Musiker und Pop-Autor Rocko Schamoni.

Die Autorin Dea Loher, den Hamburgern bestens bekannt aus ihrer Zusammenarbeit mit Regisseur Andreas Kriegenburg, ist mit einer komplexen, grenzübergreifenden Familiengeschichte vertreten, die bereits das Libretto zur Oper „Weine nicht, singe“ lieferte. Nino Haratischwili wiederum beschäftigt sich mit dem sechsten Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“, und Rocko Schamoni steuert ein noch unbekanntes elftes Gebot bei.

Die Inszenierung wird auf der Bühne auf die kurzfristigen Texte ebenso spontan mit einer Szenenfolge reagieren. Steckel will den christlichen Kanon aus der Jetztzeit heraus befragen. Wie viel sind uns unsere eigenen Werte eigentlich wert? Von den Eingeladenen erhofft sich Steckel interessante Perspektiven auf die Fragestellung. Bühnenbildner Florian Lösche entwickelt einen universellen Raum für alle Texte. Das Spektrum der Formen reicht vom Chor über Monologe, Dialoge und Lieder bis zu Vorträgen. Die Regisseurin tritt diesmal eher in den Hintergrund. „Die Arbeit hat etwas Kuratierendes“, sagt Jette Steckel. „Ich lasse erst mal gelten, was da kommt. Die Texte stehen für sich. Wir interpretieren nicht.“

Der rote Faden der so unterschiedlichen Teile bleibt die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten. „Es gab eine Furcht, an die ethisch komplizierten Fragen heranzugehen. Das erfordert Mut“, so Steckel. Der Entstehungsprozess des Abends sei wahnsinnig interessant, so die Regisseurin. Es gebe unterschiedliche Ebenen, von denen aus man auf diese Gebote blicken könne. „Um uns wirklich als christliche Gesellschaft zu verstehen, müssten wir die Gebote viel genauer befolgen. Es geht aktuell auch um eine Neujustierung des Selbstverständnisses unseres Miteinanders. Da werden wir sehr stark auf den Prüfstein gestellt.“ Steckel versucht zu verstehen, was so provozierend an westlichen Lebensformen ist, was nicht heißt, dass sie die starken Gegenreaktionen anderer Kulturkreise gutheiße. „Ich denke nur, Selbstreflexion ist angebracht.“

Auf die Suche nach einem überkonfessionellen Diskurs hat sich der Autor und Regisseur Nuran David Calis für sein dokumentarisches Theaterstück „Glaubenskämpfer. Religionssuche zwischen Kloster, Moschee und Synagoge“ begeben. Calis führte Gespräche mit Imamen genauso wie mit Pfarrern und Rabbinern. Er traf sich mit Hasspredigern und Salafisten. Auf der Bühne prallen all diese Ansichten aufeinander, geäußert von Schauspielern und Laien. Das klingt zunächst nach einer hitzigen Debatte eines ohnehin derzeit schwer hysterisierten Themas. Calis war jedoch sehr sorgfältig mit der Auswahl seines Personals. Kutlu Yurtseven, Ayfer Sentürk Demir und Ismet Büyük wirkten bereits in Calis’ vorheriger Inszenierung „Die Lücke“, die ebenfalls bei den Lessingtagen gastierte, mit. Hinzu kommen drei weitere Laien – ein Jude, eine Nonne und ein ehemaliger Salafist –, außerdem vier Ensemblemitglieder des Schauspiels Köln.

Deren Gespräche kann man sich schon im Voraus ziemlich kontrovers und aufschlussreich ausmalen. Schwester Johanna Domek schildert ihren christlichen Glaubensweg, Avraham Applestein erläutert einen Besuch im Todeslager von Auschwitz, in dem seine Großeltern umkamen. Im Kontrast dazu berichtet Dominic Schmitz, wie er aus jugendlicher Sinnsuche heraus in die Szene radikaler Islamisten geriet. Ein Abend zwischen Thesendiskussion und Theater.

„Die Zehn Gebote“ 4./5.2., jew. 19.30, Thalia Theater, Alstertor, Karten 10 bis 52 Euro unter
T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de
„Glaubenskämpfer. Religionssuche zwischen Kloster, Moschee und Synagoge“
1.2., 20.00, Thalia in der Gaußstraße, Gaußstraße 190, Karten 28/erm. 15 Euro unter T. 32 81 44 44;
www.thalia-theater.de