Mit „Love & Friendship“ kommt ein eher unbekanntes Frühwerk Jane Austens ins Kino. Die Romanadaption stellt ihre Welt auf den Kopf

So hat man Jane Austen noch nie gesehen. Selbst wer noch nie einen ihrer Romane gelesen haben sollte, meint ja, alles von ihr zu kennen, da die Briten nicht müde werden, ihr Kulturgut wieder und wieder zu verfilmen. Und so begegnen wir ihnen immerzu aufs Neue: pittoreske, wenn auch verarmte Landsitze, entsagende Jungfern, wogende Busen, sich rötende Bäckchen, und all das in hochgeschlossenen Regency-Kleidern.

Doch „Love & Friendship“ weiß da noch mal wirklich zu überraschen: Die erste Verfilmung ihres Frühwerks „Lady Susan“ wartet mit der einzigen weiblichen Hauptfigur im Austen-Universum auf, die von Herzen unsympathisch ist.

Schmarotzen, Intrigen spinnen und Reize ausspielen

Diese Lady Susan ist eine Zumutung und Schmarotzerin, die sich bei Bekannten einnistet und auf deren Kosten lebt, wobei sie, stets im Bund mit ihrer amerikanischen Freundin, Intrigen schmiedet und ihre Reize ausspielt, um einen neuen Galan an sich zu binden. Gleich zu Beginn wird die Lady von einem Landsitz verjagt, wo sie allzu offensichtlich mit dem verheirateten Lord Manwaring geflirtet hat. Um den Skandal auszusitzen, nistet sie sich auf dem entlegenen Landgut des Bruders ihres verstorbenen Mannes ein.

Unter seinem Dach spinnt sie munter ihre Ränke weiter und will ihre noch jugendliche Tochter mit einem zwar sehr wohlhabenden, aber leider auch überaus tölpelhaften Grundherrn verheiraten. Sie selbst wickelt den jüngeren Bruder ihrer Schwägerin um den Finger, der sich ihr gewappnet glaubt und ihr doch bald erliegt. Doch dann büxt die rebellierende Tochter aus ihrem Internat aus, um der Mutter die Ehe auszureden. Und schließlich taucht auch noch Lady Manwaring auf, die zetert und keift, weil ihr Gatte sie verlassen hat.

Das klingt unübersichtlich. Und wird noch verkompliziert, wenn anfangs jede Figur – auch Diener und Schwippschwäger, die keine bedeutende Rolle spielen – wie im Stummfilm mit erläuternden Untertiteln eingeführt werden. Noch verwirrender ist, dass der Film nicht einfach „Lady Susan“ heißt, sondern „Love & Friendship“, nach einer noch früheren, Fragment gebliebenen Fingerübung Jane Austens, die gar nichts mit dieser Geschichte zu tun hat. Offensichtlich muss jeder Austen-Film zwei Hauptwörter und ein Bindewort tragen, wie „Sinn und Sinnlichkeit“ oder „Stolz und Vorurteil“.

Aber all das darf man getrost vergessen. Wie „Lady Susan“ ein Briefroman war, der sich über sein eigenes Genre lustig machte, ist „Love & Friendship“ ein hochvergnüglicher Film, der irgendwie auch alte Austen-Adaptionen zu parodieren scheint. Wann immer hier ein Brief mit der Feder aufs Papier gekratzt oder vorgelesen wird, läuft das auch als Schreibschrift durchs Bild. Und so ironisch die Dialoge auch gefeilt und gedrechselt sind, findet Regisseur Whit Stillman immerzu hübsche Bildideen, um jedwede Gefahr einer drohenden Dialoglastigkeit im Keim zu ersticken.

In Stillmans Ensemble tummeln sich Stars wie Stephen Fry und Chloë Sevigny neben verheißungsvollen Nachwuchsdarstellern. Sein größter Trumpf indes ist Hauptdarstellerin Kate Beckinsale, die nicht nur in einer TV-Adaption von Jane Austens „Emma“, sondern auch in anderen Austen-artigen Epen mitgewirkt hat. Bis sie mit „Underworld“ zur futurischen Actionheldin wurde. Ironie, dass Anfang des Monats mit „Blood Wars“ der fünfte „Underworld“-Film ins Kino kam, sie nun aber zum Jahresausklang noch mal ihre früheren Jungfer-Rollen torpediert.

Dabei scheint der Regisseur deutlich mehr Sympathie mit Lady Susan zu haben als ihre Schöpferin Jane Austen selbst. Natürlich ist und bleibt diese Dame eine unmögliche Person, die gegen Anstand und Moral verstößt und nur auf eigenen Vorteil bedacht ist. Aber hinter ihrem kokett-egoistischen Auftreten zeigt Stillman deutlich, dass auch sie letztlich nur ein Opfer ihrer Zeit war. Dass Familien ohne Mann recht mittellos dastanden, das musste die junge Austen nach dem Tod ihres Vaters am eigenen Leib erfahren, davon handeln auch fast alle ihre späteren, Klassiker gewordenen Romane. Die endeten alle mit Vernunftehen, was man nur deshalb Happy End nennen kann, weil der dazu passende Partner gefunden wurde.

Lady Susan dagegen berechnet kühl wie ein Wirtschafter, wie sie sich selbst und ihre Tochter über Wasser halten kann. Im Film bringt sie das einmal in einem herrlichen Aperçu gegenüber ihrer Tochter auf den Punkt: „Wir leben nicht, wir sind zu Gast.“ Sie behandelt die Welt so, wie die Welt sie behandelt. Auch wenn die Titel gebenden Liebe und Freundschaft dabei auf der Strecke bleiben. Damit kämpft diese Lady für ihr Geschlecht, mit den Mitteln einer Frau. Und wird damit zur Vorreiterin, wenn auch nicht zur Vorzeigefigur für die Emanzipation. Jane Austen wäre vielleicht verblüfft gewesen, wie viel bissige Sozialkritik der Film aus ihrem Jugendwerk herausgeholt hat.

„Love & Friendship“ IR/NL/F/USA 2016,
92 Min., o. A., R: Whit Stillman, D: Kate
Beckinsale, Chloë Sevigny, Xavier Samuel, täglich im Elbe, Koralle und Passage