Der Verein „Hamburger Märchentage“ geht mit Vorlesern in Flüchtlingsunterkünfte. Ehrenamtliche gesucht

Kinder brauchen Märchen. Das sagte der Kinderpsychologe Bruno Bettelheim (1903–1990). Sie bieten Lebenshilfe, indem sie kindliche Nöte ernst nehmen und dort ansetzen, wo sich das Kind in seiner Entwicklung befindet. Erzählungen als Wegweiser. Und Kinder, die aus anderen Ländern ins für sie fremde Deutschland geflohen sind, brauchen Märchen vielleicht noch mehr. Deshalb hat Heike Grunewald mit ihrem Verein „Hamburger Märchentage“ jetzt damit begonnen, Kindern in Flüchtlingsunterkünften Märchen vorzulesen.

„Wer hat mein Eis gegessen?“ heißt das Märchen, das Sven j. Olsson (das kleine J. im Namen ist sein Markenzeichen) und Mohad Bashir aus Afghanistan auf Deutsch und Persisch vorlesen. Bei der Geschichte aus dem Libanon geht es um ein Dilemma, das alle Kinder weltweit beschäftigt. Wenig märchenhaft mag das Eis-Thema wirken, tatsächlich aber kommen darin die gängigen Elemente eines Märchens vor, wie Ungeheuer, eine Meerjungfrau oder ein Riese mit fünf Köpfen und natürlich geht es am Ende darum, etwas aus dieser Geschichte fürs Leben gelernt zu haben. In diesem Fall: sich von anderen nicht beeinflussen zu lassen, sondern das zu tun, was man für richtig hält.

Mit der bilingualen Lesung – erst liest Mohad Bashir den Kindern in ihrer Muttersprache vor, anschließend Sven j. Olsson auf Deutsch, Seite für Seite – sollen die Jungen und Mädchen zwischen drei und 14 Jahren mit Geschichten aus Arabien und ihrem Kulturraum abgeholt werden. „Wir wollen sie spielerisch an ihre neue Heimat heranführen“, sagt Heike Grunewald. Märchen entführen in andere Welten, lassen den Zuhörer träumen und regen die Fantasie an. Und: „Die frühzeitige Förderung von wichtigen Schlüsselkompetenzen wie das Textverständnis und die Lesekompetenz erhöhen die Chance auf eine berufliche Perspektive. Das Märchenbuch steht auch heute noch für den Erstkontakt von Kindern zum Buch.“

Den Auftakt machte eine Lesung in der Zentralen Erstaufnahme an der Dratelnstraße in Wilhelmsburg vor 60 Kindern mit Musikbegleitung. „Die Musik war wichtig, um die Kinder in ihrem Kulturraum abzuholen und um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu bewegen“, sagt Heike Grunewald. Denn die Konzentrationsfähigkeit der Kinder sei sehr eingeschränkt gewesen. Umso wichtiger seien solche Lesungen.

Für Heike Grunewald sind die Lesungen für die Flüchtlingskinder eine Herzensangelegenheit. Ein Malwettbewerb soll jede Lesung abrunden. „Um eine größtmögliche Nachhaltigkeit zu erzielen, wird jedes Kind am Ende ein bilinguales Märchenbuch erhalten.“ Es war übrigens schwer, die richtigen Märchen zu finden. „Oft sind arabische Märchen mit Vorurteilen behaftet“, sagt Frau Grunewald, die jedes Jahr auch die Hamburger Märchentage veranstaltet.

Sieben Lesungen stehen bis Jahresende in den Flüchtlingsunterkünften an, 2017 möchte sie das Projekt mit 20 Veranstaltungen ausbauen und hofft auf ehrenamtliche Vorleser, die regelmäßig in die Unterkünfte gehen. Neben den Kindern in den Erstaufnahmestellen, solle es auch Lesungen in den Internationalen Vorbereitungsklassen an Grundschulen geben.

Wer Heike Grunewald und ihre Mitstreiter beim Vorlesen unterstützen möchte, kann sich per Mail an sie wenden, unter info@hamburger-maerchentage.de. Weitere Informationen zum Verein, der für die Aktion Spenden benötigt, unter www.hamburger-maerchentage.de