Hannover. Abendblatt-Serie „Meine gute Nachricht des Jahres“– Teil 5: Die Ärzte hatten Elfriede Veit schon abgeschrieben – dann wachte sie auf.

Das Telefon klingelte völlig unerwartet. Sie war doch immer so agil und unternehmungsfreudig gewesen. Noch mit 83 Jahren war sie in halb Europa herumgereist. Und dann kam der Anruf aus der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) mit der Nachricht, dass es seiner Tante sehr, sehr schlecht gehe. Für Stephan Kleinschmidt war das ein Schock: „Wir waren uns schon immer sehr nah gewesen“, sagt der Architekt aus Hannover leise. Die Schwester seines verstorbenen Vaters hat sonst keine Angehörigen.

Bei einer Reise in die Toskana war Elfriede Veit gestürzt. Auf dem Rückflug nach Hannover kam es dann auch noch zu einer Lungenembolie. „Ein junger Arzt, der zufällig im Flugzeug saß, sorgte dafür, dass sie sofort in die MHH kam“, sagt Kleinschmidt. „Vermutlich hat er ihr das Leben gerettet.“ Für den 54-Jährigen begann aber eine zermürbende Zeit, die ihn vor die schwerste Entscheidung seines Lebens stellte.

Eine Geschichte wie diese steht eigentlich nicht in der Zeitung. Darin geht es um Leben und Tod; darum, wie schmal der Grat zwischen beiden ist und wie schwer Menschen oft einschätzen können, wo dieser wirklich verläuft.

Entscheidung über Leben und Tod

Als Stephan Kleinschmidt in die MHH kam, war seine Tante kaum noch ansprechbar. Sie lag dann lange im künstlichen Koma und wurde nach Celle verlegt, weil das Krankenhaus dort auf Fälle wie ihren spezialisiert war. Doch Besserung war nicht in Sicht.

Eine Patientenverfügung seiner Tante hätte es ihm erlaubt, die Geräte abschalten zu lassen. Zweimal stand er kurz davor. „Mit so einer Entscheidung ist man an einer Grenze“, sagt der 54-Jährige. Wer will schon Herr über Leben und Tod spielen? Die ethischen Untiefen und die Gewissensqualen, die an solch einer Entscheidung hängen, können sich wohl die wenigsten ausmalen.

Die Marke zur Abendblatt-Aktion
Die Marke zur Abendblatt-Aktion "Meine gute Nachricht des Jahres 2016" © HA

Immer wieder hätten sich die Mediziner viel Zeit für Gespräche mit ihm genommen, sagt Kleinschmidt. Und ein Arzt machte ihm Mut, die Entscheidung nicht zu überstürzen – auch, wenn die Chancen damals gering erschienen, dass seine Tante jemals wieder gesund werden würde. „Er fand in diesen schweren Momenten die richtigen Worte, er machte mir Hoffnung“, sagt der 54-Jährige. Und dann kam jener denkwürdige Tag im vergangenen Dezember.

"Das war mein zweiter Geburtstag"

„Das war mein zweiter Geburtstag“, sagt Elfriede Veit. Es war der Tag, an dem sie völlig unerwartet die Augen aufschlug. Sie war bei klarem Verstand, erkannte ihre Umwelt: „Ich war wieder voll da“, sagt die rüstige Seniorin. Die Erinnerung an mehrere Monate fehlt ihr: „Ich wurde im Flugzeug ohnmächtig – und von da an weiß ich nichts mehr“, sagt die alte Dame.

Dass sie wieder zu sich kam, habe auch Ärzte und Schwestern völlig überrascht, sagt ihr Neffe: „Ein Mediziner sprach sogar von einem Wunder.“ Dass seine Tante wieder gesund geworden ist, war für ihn die gute Nachricht des Jahres, sagt Stephan Kleinschmidt. Als sie 84 Jahre alt wurde, stießen beide mit Sekt an. Auf einen ganz besonderen Geburtstag. Dem Arzt, der ihm davon abriet, die Geräte abzuschalten, sei er unendlich dankbar: „Im Zweifel“, sagt er nachdenklich, „kann es auch besser sein, nichts zu tun.“

Lesen Sie morgen: Wie Uwe Behrmann vom Theater-Statisten über Nacht zum Hauptdarsteller wurde