Berlin.

Passt schon. Oder: Was soll das jetzt bringen, zu quatschen? – Das erste Gespräch in der Beratungsstelle von Björn Süfke könnte, ginge es nach den Patienten, häufig sehr schnell wieder vorbei sein. Da sitzen Männer in seinem Behandlungszimmer und müssen nicht selten zum ersten Mal in ihrem Leben 50 Minuten am Stück über ihre Gefühle reden. „Dieses Setting ist für die meisten Männer sehr ungewöhnlich“, sagt Süfke, der in Bielefeld in einer Männerberatungsstelle als Psychotherapeut arbeitet und zuletzt das Buch „Männer. Erfindet. Euch. Neu.“ veröffentlicht hat. Die wenigsten kommen von alleine, viele werden geschickt. Von ihren Frauen, von Ärzten, Gerichten oder Anwälten. Björn Süfke ist in Deutschland einer von wenigen Psychotherapeuten, die sich auf die Psyche des Mannes konzentrieren. Er sagt: „Das Prinzip Psychotherapie ist auf Frauen ausgelegt.“

Süfkes Alltagserfahrung spiegelt sich auch in der Statistik wider: Noch immer sind 70 Prozent derjenigen, die eine Psychotherapie machen, Frauen. Die Zahlen sagen auch, dass Frauen wesentlich häufiger an psychischen Erkrankungen leiden. So erhalten sie zum Beispiel doppelt so häufig die Diagnose Depression.

Schlechterer Zugang zur eigenen Innenwelt

Doch einige Experten hinterfragen diese Zahlen. Einen Hinweis gibt etwa das Geschlechterparadox bei Depression und Suizid. „Die Suizidrate der Männer ist mindestens dreimal höher als die der Frauen“, erklärt Prof. Anne Maria Möller-Leimkühler von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). „Aus psychologischen Autopsiestudien weiß man aber, dass die meisten Suizidopfer an einer Depression gelitten haben. Wenn bei Männern nur halb so häufig wie bei Frauen eine Depression diagnostiziert wird, deutet das auf eine hohe Dunkelziffer von Depressionen bei Männern“, erklärt die Sozialwissenschaftlerin, die an der Psychiatrischen Klinik der LMU zum Thema Gender und psychische Störungen forscht. Auch der zweite Männergesundheitsbericht aus dem Jahr 2013 kommt zu dem Ergebnis: Depressionen sind bei Männern unterdiagnostiziert und unterbehandelt.

Weil Männer zu wenig reden, stattdessen lieber machen? Weil sie kein Ohr für die eigenen Gefühle haben und Gefühle ohnehin unmännlich sind? Klingt nach Klischee, das längst nicht mehr dem Geist des Jahres 2016 entspricht. „Männer haben tatsächlich im Durchschnitt einen schlechteren Zugang zur eigenen Innenwelt“, sagt jedoch Björn Süfke. Zu Sehnsüchten, Impulsen, Ängsten. Was natürlich, so betont er, nicht gleichzusetzen ist mit: Männer haben weniger Gefühle.

Die Sozialwissenschaftlerin Möller-Leimkühler bestätigt das. „Männer können ihre Gefühle und inneren Konflikte häufig nicht verbalisieren, weil sie sich damit nie befasst haben.“ Süfke erklärt es so: Im Laufe der männlichen Sozialisation werde es Männern von klein auf und auch meist unbewusst ausgetrieben, Gefühle zu zeigen. Denn sie seien ein Zeichen von Unmännlichkeit, sie nehmen Männern die Geschlechtsidentität. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Auch wenn sich die Rolle des Mannes in der Gesellschaft ganz langsam verändert, wird es nach Ansicht Süfkes noch Jahrzehnte dauern, bis sich diese zarten Veränderungen im Umgang mit psychischen Erkrankungen bemerkbar machen.

Als Status- und Beziehungswelt bezeichnet Sozialwissenschaftlerin Möller-Leimkühler die zwei Welten, in denen Mann und Frau heute leben. „Bei Männern geht es um Leistung, Wettbewerb, Macht und Dominanz. Sie handeln häufig nach dem Motto: Kämpfen und Flüchten, und können dabei sich selbst und anderen schaden.“ Flucht bedeutet nicht nur Schweigen, Abwehr und Vermeidung. Sondern auch die Flucht in Alkohol, Arbeit, Sport oder Sex.

„Wenn ein Patient zum ersten Mal zu mir kommt, bin ich darauf gefasst, dass Gefühle abgelehnt werden“, sagt Björn Süfke. Denn Gefühle können nicht angeknipst werden, eine Gesprächstherapie beginnt aber mit der Frage: ,Wie geht es Ihnen?‘ – ,Passt schon‘. Süfke reagiert auf die unbewussten Abwehrstrategien mit „liebevoller Konfrontation“, wie er es nennt. Ein Balanceakt. „Ich konfrontiere sie dann zum Beispiel mit ihrer eigenen Abwehrstrategie und versuche gleichzeitig mich selbst miteinzubeziehen.“ Beispiel: „Herr XY, ich habe gelesen, Sie sind Sozialarbeiter, Psychologe, Soziologe. Das kann ja was mit uns werden. Jetzt sollen wir zwei Schlauberger über Gefühle reden.“ Oft funktioniere das. Doch das Problem liegt nicht nur auf Seiten der Patienten. So zeigen Studien, dass Ärzte bei gleichen Symptomen Frauen signifikant häufiger die Diagnose Depression stellen als Männern. Hinzu kommt, dass Männer und Frauen bei psychischen Leiden unterschiedliche Symptome zeigen können: So kann der Serotoninmangel, der mit der Entstehung von Depressionen in Verbindung gebracht wird, bei Männern Risikoverhalten und impulsive Aggressivität auslösen, während er bei Frauen eher auf die Stimmung schlägt“, erklärt Möller-Leimkühler, die gerade ihr erstes Buch „Vom Dauerstress zur Depression“ veröffentlicht hat. Sie hat daher ein Depressions-Screening entwickelt, das Symptome und Verhaltensweisen miteinbezieht, die nicht zu den klassischen gehören.

Der Therapeut Süfke und die Sozialwissenschaftlerin Möller-Leimkühler sind zwei von sehr wenigen Streitern für mehr Aufmerksamkeit für die männliche Psyche. „Es fehlt an fundamentalem Grundwissen“, sagt Süfke. Nicht nur Therapeuten, auch Hausärzte und Erzieher müssten sich damit auseinandersetzen. Auch der Männergesundheitsbericht hält fest: In weiten Teilen der Medizin und des öffentlichen Bewusstseins gehe Männergesundheit noch nicht über die Urologie hinaus.