Paderborn.

Es ist Tag zwei im Prozess um das Horrorhaus von Höxter. Aber eigentlich ist es der Tag, an dem dieser Prozess vor dem zuständigen Landgericht in Paderborn erst wirklich beginnt. Denn es ist der Tag, an dem die Angeklagte Angelika W. mit ihrer Aussage beginnt.

Die 47-Jährige erzählt noch nicht von den Frauen, die sie laut Anklage zusammen mit ihrem ein Jahr jüngeren Mann Wilfried im gemeinsamen Haus misshandelt und gequält hat, so schwer, dass mindestens zwei von ihnen gestorben sind. Angelika W. erzählt an diesem Tag von sich.

Sie erzählt, wie sie groß geworden ist auf dem Bauernhof der Familie, ganz tief in Ostwestfalen. Wo sie schon früh mit angepackt hat. „Es gab nie eine beste Freundin.“ Angelika W. geht nicht aus, fährt niemals in Urlaub. Einmal im Monat gönnt sie sich ein Eis. Ansonsten wird gespart. Für später. „Ich habe nicht viel gebraucht“, so die gelernte Gärtnerin. Mitte zwanzig ist sie, als sie binnen Minuten den ersten Kuss bekommt und den ersten Sex hat. Mit einem verheirateten iranischen Aushilfsarbeiter, den sie Achmed nennt, auch wenn er eigentlich anders heißt. Niemand spricht von Liebe, Achmed von Geld. Sie leiht ihm „nach langem Überlegen“ 5000 Mark, sieht ihn nicht wieder.

Der Vater stirbt, die Mutter rät zur Heirat. Per Annonce lernt sie Anfang 1999 Wilfried kennen. Er ist Hausmeister bei der Bahn, hoch verschuldet. Sie hat Geld. Gleich bei der ersten Begegnung erzählt sie ihm von den angesparten 160.000 Mark. Nur Stunden später landen sie im Bett. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, glaubt sie bis heute.

Schon nach ein paar Tagen gibt es Streit“. Sie ist zu laut, zu leise, redet zu viel oder zu wenig, macht ihn nervös, ist nicht seiner Meinung. Dann schreit Wilfried nicht nur, dann schlägt er sie auch, beißt und würgt sie, erstickt sie beinahe unter einem Berg von Decken. Immer wieder. Trotzdem kündigt Angelika W. ihren Job, um Wilfried dabei zu helfen, Bahnhöfe sauber zu machen. Und obwohl die Schläge zunehmen, er sie täglich demütigt und beleidigt, heiraten die beiden acht Wochen nach ihrem ersten Treffen. Zwischendurch sei er ja „halbwegs lieb“ gewesen. Und: „Er hat nicht geraucht.“

Nach der Hochzeit bekommt Wilfried Vollmacht für die Konten seiner Frau. Er hat zwar keinen Führerschein, aber er kauft Autos, später auch Boote. Bis das Geld weg ist. Das Paar zieht nach Höxter. Sie macht alles, was er will, ordnet sich unter, gibt sich auf. Sie darf nicht essen ohne ihn, nicht ohne Erlaubnis auf Toilette gehen. Und sie, die früher verletzte Katzen rettete, schießt nun mit einem Luftgewehr auf den zu zahmen Schäferhund und steckt eine Katze in den Trockner, bis sie stirbt. Weil er die Tiere, die er erst haben wollte, plötzlich loswerden will.

Mit kochendem Wasser verbrüht

Aber Angelika W. kann machen, was sie will, nie ist Wilfried zufrieden. Um sie zu bestrafen, verbrüht er sie mit kochendem Wasser. Anschließend muss sie auf eine Ledergeldbörse beißen, die er ihr in den Mund stopft. „Damit ich nicht so laut schreie.“ Irgendwann lassen sie sich scheiden – „aus finanziellen Gründen“. Ändern tut sich nichts. Täglich kommt sie zu ihm. Sie habe sich verpflichtet gefühlt. Er habe ihr drei Aufgaben gegeben. Sie solle ihm gefälligst einen Job beschaffen, dafür sorgen, dass er irgendwoher einen Führerschein bekommt, und eine Frau finden, die besser zu ihm passt. Das habe sie doch alles erledigen müssen. „Böse bin ich ihm nicht“, sagt sie.

Je länger sie erzählt, umso schwieriger wird es, die Frau einzuschätzen. Sie sei Täterin und Opfer, sagt ihr Verteidiger Peter Wüller. Sie wirkt naiv, dumm wirkt sie nicht. Sie ist geständig, nimmt Schuld auf sich, beantwortet die Fragen von Richter Bernd Emminghaus zügig und stellt den schweigenden Ex-Mann als treibende Kraft dar. Dessen Anwälte sehen das anders; und auch im erneut völlig überfüllten Schwurgerichtsfall gibt es Zweifler. „Die ist“, glaubt ein älteres Ehepaar im Zuschauerraum, „gerissener, als sie aussieht“.