Essen.

Eine kleine Filiale der Deutschen Bank im Essener Westen ist am Tag der Deutschen Einheit zum Schauplatz unfassbarer Gleichgültigkeit geworden – mit tödlichen Folgen: Ein 82-Jähriger bricht am 3. Oktober im Foyer zusammen. Nachfolgende Bankkunden lassen den hilflosen Senioren links liegen und erledigen teilnahmslos ihre Finanzgeschäfte an den Automaten. Erst nach 20 Minuten reagiert ein Zeuge, der sofort Alarm schlägt, kaum dass er den Vorraum betreten hat. Dennoch kommt für den 82-jährigen Essener jede Hilfe zu spät. Er erlangt sein Bewusstsein nicht wieder und stirbt wenige Tage nach dem internistischen Notfall im Krankenhaus.

Jetzt ermittelt die Polizei wegen unterlassener Hilfeleistung gegen vier noch unbekannte Kunden der Deutschen Bank. Viel wissen die Ermittler noch nicht über sie: Es handele sich um erwachsene Frauen und Männer. Es sei nicht auszuschließen, dass sie ein Handy mit sich führten. Dann wäre es für sie doch einfach gewesen, „die drei Nummern des Notrufs einzutippen“, sagt Polizeisprecher Christoph Wickhorst kopfschüttelnd.

Die Fahnder haben allerdings keinen Zweifel daran, den Gesuchten relativ schnell auf die Spur zu kommen. Für die Ermittler dürfte es ein Leichtes sein, die Daten der am 3. Oktober erledigten Bankgeschäfte auszuwerten und die so gewonnenen Erkenntnisse mit den Bildern aus der Überwachungskamera abzugleichen, um die Identitäten der Gesuchten am Ende zweifelsfrei zu klären. „In der Regel benutzt man ja seine eigene Bankkarte an den Geldautomaten“, sagt Tanja Horn, Sprecherin der Polizei, die den Vorfall öffentlich machte.

Die sichergestellten Videosequenzen schockieren selbst gestandene Ermittler: Sie zeigen den 82-Jährigen in der zunächst menschenleeren Bank. Es ist Feiertag. Das Personal hat frei, hätte gar nicht eingreifen können. Der Senior bedient den Überweisungsautomaten, will das Bankfoyer danach wieder verlassen, bricht aber vorher zusammen.

Erst der fünfte Zeugeruft den Notarzt

Doch schon wenige Minuten später scheint Hilfe in greifbarer Nähe: Die automatische Tür öffnet sich, ein zweiter Kunde betritt den Vorraum. Dann aber passiert das Ungeheuerliche: Er würdigt den Menschen am Boden keines Blickes, tippt minutenlang seine Daten ein und verschwindet scheinbar ungerührt.

Dieses Schauspiel wiederholt sich dreimal. Für die Polizei ist es ein Ding der Unmöglichkeit, den quer im Raum liegenden Menschen übersehen zu haben. Einer der Kunden steigt sogar über den bewusstlosen Rentner hinweg, er nimmt ihn also nachweislich als Hindernis wahr. Doch erst ein fünfter Zeuge setzt endlich einen Notruf ab. Danach sind die „Rettungskräfte binnen kürzester Zeit vor Ort“, so die Polizei. Ein Krankenhaus befindet sich in unmittelbar Nähe. Noch spielt es für die Ermittler keine Rolle, ob der 82-Jährige seinen Schwächeanfall überlebt hätte, wenn ihm schneller geholfen worden wäre als nach über 20 Minuten. Dies zu bewerten, dürfte am Ende die alleinige Aufgabe eines Gutachters vor Gericht sein.

Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich der Kreis der Beschuldigten noch erweitert. Denn auch nach dem einzigen Notruf betraten weitere Bankkunden das Foyer. Auch sie kümmerten sich nachweislich nicht um den Bewusstlosen. Gegen sie wird aber (noch) nicht ermittelt, sagt Polizeisprecherin Tanja Horn: „Bei ihnen ist nicht auszuschließen, dass sie wussten, die Hilfe ist endlich auf dem Weg.“