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Auf dem OP-Tisch unter dem Messer, das in den Händen eines Roboters liegt? Geht es nach den Wünschen von Chirurgen, wird das in Zukunft Normalität sein in deutschen Operationssälen. Was würde dann also passieren, wenn ein Patient etwa mit gebrochenem Becken operiert wird? Eine schmerzhafte Angelegenheit, die einen komplexen Eingriff nach sich zieht – jede Menge Einzelteile, Knochen und Knorpelteile müssten Stück für Stück wieder zusammengefügt werden. Heute geschieht das meistens in einer großen offenen Operation. Künftig könnte das ein Roboterarm übernehmen, der von einem Chirurgen gesteuert wird, in einem OP-Saal, der wie das Cockpit eines Flugzeugs anmutet.

So sieht die Welt des Chirurgen aus, wenn Experten wie Professor Florian Gebhard, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Ulm, in die Zukunft schaut. „Entscheidend ist dann zum einen die Infrastruktur des Operationssaals, die so angelegt sein muss, dass der Operateur präzise arbeiten kann. Dafür stehen andererseits die Unterstützungssysteme im Mittelpunkt, wir sprechen von enabeling technologies“, erklärt Gebhard.

Der Chirurg wird zum Piloten, der Roboterhände fernsteuert

Heute sind Operationssäle in der Regel mit Technologien verschiedener Hersteller ausgerüstet, die sich beispielsweise für Leuchtensysteme oder OP-Tische verantwortlich zeichnen. Künftig soll nach Vorstellung von Chirurgen alles aus einem Guss kommen und intelligent miteinander vernetzt sein. „Dadurch erledigt sich die Problematik der Schnittstellen und der vielen Kabel. Der Raum ist schnell für einen Eingriff bereit“, sagt Florian Gebhard. Eine vorinstallierte Vernetzung sorgt dann dafür, dass nur die Geräte verfügbar sind, die der Operateur gerade braucht. Auch Licht, Wärme und Feuchtigkeit können an die jeweiligen Anforderungen des Eingriffs angepasst werden.

Forscher der Universität Rostock arbeiten bereits im Rahmen des vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekts OR.NET an so einer herstellerunabhängigen Vernetzung, an einer „gemeinsamen Sprache“ der medizinischen Geräte, wie sie es formulieren. Die Wissenschaftler erhoffen sich davon ein geringeres Stresslevel für den Chirurgen, der nicht mehr von der Technik unterschiedlicher Geräte abgelenkt wird.

Auch ein Bildverteilungssystem könnte dem Chirurgen die Arbeit während einer Operation erleichtern, glaubt Florian Gebhard. Dieses System organisiert und zeigt dem Arzt – sozusagen als Fortsetzung einer Checkliste – die Patientendaten, die er gerade benötigt. Das können Röntgenbilder oder dreidimensionale Computertomografie-Aufnahmen sein, aber auch Scans, die während des Eingriffs entstehen. Dazu sollte ein Datenakquisesystem kommen, das online dokumentiert, wie der Patient derzeit behandelt wird.

Auf der Basis dieser Daten errechnet dann ein Navigationssystem, wie die Operation ablaufen soll, und legt die einzelnen Schritte sowie ihre Reihenfolge fest. Dabei wird das System vom Chirurgen als Pilot geleitet. Dieser führt dann nicht mehr selbst das Skalpell, sondern beobachtet und steuert solche Operationen an einem Extraterminal. Durchgeführt werden die Eingriffe dann von Roboterhänden. Denn anders als Menschenhände zittern sie nicht.

Noch ist der perfekt vernetzte OP-Saal Zukunftsmusik, doch der Einsatz von Robotern im OP ist längst kein Blick in die Glaskugel mehr. Seit Anfang 2014 operieren etwa Chirurgen an der Berliner Charité mithilfe von „Da Vinci“, einem 1,5 Millionen Euro teuren Gerät. Dabei sitzt der Chirurg wie an einer Spielkonsole einige Meter vom OP-Tisch entfernt und steuert Zangen, Messer, Scheren und Nadeln mit Händen und Füßen fern. Eine winzige Kamera überträgt 3-D-Aufnahmen aus dem Inneren des Körpers. Der Vorteil eines Eingriffs mithilfe von „Da Vinci“: Große Schnitte in Bauch und Brust entfallen, die Geräte werden stattdessen durch kleine Öffnungen in den Körper geführt. Für die Patienten bedeutet das ein geringeres Infektionsrisiko und weniger Wundschmerzen.

Auch Dr. Stephan Buse, Chefarzt im Alfried Krupp Krankenhaus Essen und Experte für Urologie, arbeitet seit Jahren mit „Da Vinci“. Mehr als 3000 Operationen hat er mit seiner Hilfe durchgeführt, regelmäßig fliegt er nach Katar, um Chirurgen im Umgang mit dem Roboter zu schulen. „Diese Entwicklung wird so schnell vorangehen wie bei Smartphones, mit immer neuen Modellen“, lautet seine Prognose. In seiner Vision der Zukunft können sich etwa Experten anderer Fachgebiete aus der Ferne während eines Eingriffs zuschalten, um hilfreiche Hinweise zu geben – in Zeiten fortschreitenden Ärztemangels eine interessante Lösung. Und das Kontrollsystem im OP-Saal kann dann vor möglichen Problemen während der Operation warnen – „wenn zum Beispiel ein Schnitt in eine sensible Struktur ansteht, die einen Nerv oder ein Gefäß enthält. Dann muss der Operateur entscheiden, ob dieser notwendig ist oder nicht“, erläutert Dr. Konstantinos Zarras, Chefarzt der Chirurgie am Düsseldorfer Marien Hospital.

Die Spezialisten sind sich einig: Chirurgen werden in Zukunft kaum noch große Operationen machen, sondern sich mit aufwendiger Technik ein genaues Bild vom Körper machen, um gezielt kleine Schnitte zu setzen. „Dadurch gewinnen wir an Sicherheit – und die Patienten kommen schneller wieder auf die Beine“, ist Stephan Buse ebenso wie seine Kollegen überzeugt. Und er weiß um die wachsende Rolle von Robotern: „Es gibt jetzt schon flexible, kleine Modelle, die bei Tierversuchen in Körperöffnungen eindringen, um Gewebeproben zu entnehmen – beispielsweise an der Leber. Auf diese Weise werden sie sicher auch bald beim Menschen eingesetzt.“ Sein Düsseldorfer Kollege Konstantinos Zarras würde heute schon gern mit 3-D-Bildern und Robotern arbeiten, doch noch sind die Kosten einer minimalinvasiven Operation mithilfe von Robotern – beispielsweise am Dickdarm – dreimal so hoch wie bei einem offenen Eingriff. „Das Finanzierungssystem ist gefordert, ein Sachkostenzuschuss für das notwendige Material wäre notwendig“, meint Zarras.

Operateur kann jederzeit übernehmen

Unfallchirurg Florian Gebhard rechnet damit, dass die Technologie, die hohe Anforderungen stellt, in rund zehn Jahren in besonderen Zentren zur Verfügung stehen wird. „Wichtig ist dabei, dass der Chirurg immer die volle Kontrolle hat, jederzeit wie ein Pilot das Flugzeug übernehmen kann und damit manuell die OP beendet“, sagt er. Außerdem sollte die Technik – wie bei den Smartphones – immer besser handhabbar und günstiger werden. „Irgendwann haben wir vielleicht den mobilen, vernetzten OP-Saal’“, sinniert Urologe Stephan Buse.