Dani Levys klasse Komödie „Die Welt der Wunderlichs“ zeigt eine Familie am Rande des Nervenzusammenbruchs

Der Titel des Stadtneurotikers ist wohl auf Lebenszeit an Woody Allen vergeben. Aber mit „Die Welt der Wunderlichs“ dringt Dani Levy zumindest in dieselbe Liga vor. Schon einmal, in seinem bislang größten Erfolg „Alles auf Zucker!“, hat er mit Lust und Charme eine Berliner Familie am Rande des Nervenzusammenbruchs gezeigt. Die Wunderlichs gehen in eine ähnliche Richtung. Nur sind es hier nicht typisch jüdische Schrullen und Eigenheiten, die mit jüdischem Witz aufs Korn genommen werden. Die Wunderlichs leiden allesamt an Neurosen. Und zwar jeder an einer anderen. Das führt zu einem emotionalen Chaos, bei dem die einzig Normale, die die Sippe irgendwie zusammenhält, öfter einfach mal schreien würde. Und der Zuschauer mit ihr. Aber nur, weil’s so komisch ist.

Der Arbeitstitel des Films lautete mal „Der kleine Diktator“ und sollte von einem Dreikäsehoch handeln, der seine Mutter permanent auf Trab hält. So fängt der Film auch an. Mama Mimi (Katharina Schüttler) ist alleinerziehend und muss irgendwie über die Runden kommen, was aber nur schwer gelingt. Denn ständig wird sie in die Schule zitiert, weil ihr hyperaktiver Sohn wieder was ausgefressen hat. Ihr Chef im Elektroladen droht mit Kündigung.

Irgendwann muss sich das Spiel mit den Neurosen aber verselbstständigt haben. Denn jetzt ist es nicht nur der ADHS-Spross, der der Mutter den letzten Nerv raubt. Sondern die komplette Familie. Der Vater (Peter Simonischek) ist manisch-depressiv und spielsüchtig obendrein. Die Schwester (Christiane Paul) hat eine bipolare Störung, sie funktioniert zwar bestens im Job, ist aber emotional völlig überfordert. Die Mutter (Hannelore Elsner) ist hochtheatralisch und divös, weil sie ihren alten Zeiten als Schlagersängerin nachtrauert. Der Ex (Martin Feifel) ist ein verkrachter Musiker mit klassischen Border­line-Symptomen. Und als Mimi trotz allem einen an ihr interessierten Mann (Steffen Groth) kennenlernt, stellt auch der sich als beziehungsgestört und sexsüchtig heraus. „Wir sind nicht interessant“, bringt es die leidgeplagte Mimi einmal auf den Punkt, „wir sind Psychos“.

Aus all diesen Schrullen und Neurosen braut Levy eine schrille Komödie, die nach der guten Billy-Wilder-Weisheit von drei Komponenten bestimmt wird: Tempo, Tempo, Tempo. Schon der Alltag erscheint wie ein Hamsterrad, das immer kurz davor ist, zu überdrehen und die darin rotierende Mimi hinauszuschleudern. Um ihr mal was Gutes zu tun, meldet der Sohn sie aber ohne ihr Wissen für eine Schweizer Casting-Show an. Mimi hat einst mit ihrem Ex Musik gemacht, den Traum einer Sängerin aber für den Sohn aufgegeben. Jetzt soll sie eine zweite Chance bekommen. Das würde vielleicht funktionieren, wenn man sich solange um den Kleinen kümmern und sie ihrer Wege ziehen lassen würde. Aber nein, die Wunderlichs entscheiden sich natürlich für die falscheste aller Alternativen. Indem sie alle mit- und hinterherfahren. Das erinnert dann ein bisschen an das US-Pendant „Little Miss Sunshine“.

Dabei funktionieren diese Stadtneurotiker auch als Roadmovie – auf dem Weg in Levys alte Schweizer Heimat – noch ganz trefflich. Mit der Castingshow (bei der Arabella Kiesbauer als Moderatorin und Thomas Anders, Sabrina Setlur und Friedrich Liechtenstein als Juroren alle irgendwie sich selber spielen) müsste sich das jedoch zu einer veritablen Mediensatire ausweiten. Dafür ist der Witz dann aber zu mild, da sind sich der Komödienregisseur Levy und der Humanist Levy ein wenig im Wege. Doch diese kleinen Schwächen werden gänzlich überstrahlt von der Spiellust des ganzen Ensembles. Allen vor­an von Katharina Schüttler, die man noch nie so komisch gesehen hat. Eine herrlich dysfunktionale Familie, bei der man gern über all das hinwegsieht, was einen an der eigenen Sippschaft so nervt.

„Die Welt der Wunderlichs“ D/CH 2016,
103 Min., o. A.., R: Dani Levy, D: Katharina
Schüttler, Peter Simonischek, Christiane Paul,
täglich im Abaton, Koralle-Kino, Passage;
www.dieweltderwunderlichs.x-verleih.de