Das Drama „Auf einmal“ ist ein eindringliches Spiel um böse Verdächtigungen

Auf einmal ist alles anders. Eben noch hat der Jungbanker Karsten (Sebastian Hülk) zu Hause mit Freunden gefeiert. Gut, die eigene Freundin war auf Dienstreise. Und okay, dass er mit der Deutschrussin Anna geflirtet hat und sie noch dablieb, als alle anderen gegangen sind, das war auch nicht astrein. Aber dann liegt die junge Frau plötzlich tot im Wohnzimmer. Und das Leben des saturierten Wohlstandskindes gerät aus den Fugen.

Zunächst beginnt Aslı Özges Film wie ein „Tatort“. Warum hat Sebastian nicht den Notruf gerufen, sondern ist stattdessen zur nächsten Klinik gelaufen, was doch wertvolle Zeit gekostet hat? Wer war überhaupt diese Anna, die keiner mitgebracht hat und die irgendwann einfach auf der Fete war? Aber um polizeiliche Ermittlungen geht es hier nicht. Sondern um das Misstrauen, das sich langsam in Sebastians Umfeld einschleicht und festfrisst. Erst stehen die Freunde noch zu ihm, dann kommen erste Zweifel und Verdächtigungen auf. Irgendwann hängt sogar ein Mordverdacht in der Luft. Die Kol­legen meiden ihn, der Chef versetzt ihn von der Kundenberatung in den Keller, und die Freundin (Julia Jentsch) zieht schließlich sogar aus der gemeinsamen Wohnung aus.

Dieser Sebastian – beeindruckend gespielt von Sebastian Hülk, der bislang nur in Nebenrollen aufgetreten ist – ist dabei eine zutiefst ambivalente Figur. Die Zuschauer nehmen seine Perspektive ein, erleben alles aus seinem Blickwinkel. Dennoch wird er keineswegs sympathisch gezeichnet. Und was in der kurzen Zeitspanne, in der die Frau ­gestorben ist, passiert ist, diese Information wird allen vorenthalten. Eine Diskrepanz, aus der der Film seine Spannung zieht.

Darüber hinaus stellen die Regisseurin und ihr Kameramann Emre Erkmen die Figuren in strenge Bildkompositionen, in denen sie durch Wände, Glass oder Fensterrahmen permanent voneinander getrennt werden. Wie in frühen Antonioni-Filmen werden die Figuren rein bildlich voneinander getrennt und isoliert. Auch die Landschaft des Sauerlands mit seinen Bergen wirkt keineswegs malerisch, eher einengend. Der Herbst, in dem der Film spielt, wird dabei immer kühler, die Bilder geraten immer frostiger. Eine Isolierung auf allen Ebenen.

Eine beklemmende Studie über den Strudel der Ohnmacht. Bis der junge Mann auf einmal aus der Defensive geht und auf eine Art reagiert, die man nicht erwartet hätte und die diesem an Überraschungen nicht armen Film eine finale finstere Pointe verleiht.

Die großen Impulse im deutschen Kino, sie scheinen derzeit von Filmemacherinnen zu kommen: von Maren Ade („Toni Erdmann), Maria Schrader („Vor der Morgenröte“), Nicolette Krebitz („Wild“), Anne Zohra Berrached („24 Wochen“) oder eben Aslı Özge, die in Berlin und Istanbul lebt und nach „Men On The Bridge“ und „Lifelong“ hier ihren ersten deutschen Film vorlegt. Ein Film noir aus dem Sauerland, der weniger Thriller ist als ein bitteres Sittenbild der Leistungsträgergesellschaft.

„Auf einmal“ D/NL/F 2016, 112 Min., ab 12 J.,
R: Asli Özge, D: Sebastian Hülk, Julia Jentsch, Hanns Zischler, täglich im 3001;
www.mfa-film.de/kino/id/auf-einmal