in E-Mail-Wechsel von Abendblatt und „Cicero“
Christoph Schwennicke, Chefredakteur des in Berlin produzierten Magazins „Cicero“, und Lars Haider, Chefredakteur des Abendblatts, pflegen eine E-Mail-Freundschaft, die wir jeden Sonnabend an dieser Stelle veröffentlichen.
Haider: Lieber Christoph, Hilfe, ich verstehe die Kanzlerin nicht mehr. Erst steht sie fest zu ihrem Kurs, dann will sie die Zeit zurückdrehen und gibt zu, Fehler gemacht zu haben. Ist das eine kluge Strategie oder tatsächlich schon Verzweiflung angesichts der jüngsten Wahlergebnisse?
Schwennicke: Dieser Auftritt ist enormem Druck geschuldet, nicht zuletzt innerparteilichem Druck, keiner echten Einsicht. Die hätte sie vorher zeigen müssen. Too little, too late. Denn den entscheidenden zeitlichen Passus Ende August, Anfang September hat sie ausgespart in ihrer Fehleranalyse. Insofern too little. Und too late: Weißt du noch, wenn du als kleiner Junge mal Bockmist bei der Oma gebaut und ihren Perserteppich versaut hast? Bist du gleich zu ihr hin und hast dich aufrichtig entschuldigt, dann hat sie dir verziehen. Hatten dich aber deine Eltern nach Wochen so weit und du bist zu Oma und hast dir ein „Tschuldigung“ abgerungen, dann nicht so. So ist es auch hier. Die Bevölkerung hätte ihr das viel eher vergeben, wenn sie nicht so lange trotzig geblieben wäre.
Haider: Das ist ja das Schlimme: Man nimmt es ihr nicht ab, man weiß nicht mehr, was man glauben soll. Ich glaube, dass die nächste Bundestagswahl eine der aufregendsten wird, die wir seit Langem erlebt haben. Und ich bin jetzt doch sehr gespannt, ob Merkel noch mal antritt … Es kann verantwortungsbewusst, es kann aber auch trotzig-kohlig wirken. Aber ich bin ja eh dafür, Amtszeiten wie in den USA zu begrenzen.
Schwennicke: Bin voll deiner Meinung: Zwei sind genug. Von mir aus gern zweimal fünf Jahre. Demokratie lebt von Wahl und Wechsel. Und spannend wird das sehr. Für diese Aussage hätte uns vor einem Jahr jeder für verrückt erklärt. Das macht Politik so reizvoll.
Haider: Dein ultimativer Tipp. Merkel tritt noch mal an, um das Wir-schaffen-das-Missverständnis auszumerzen?
Schwennicke: Nicht deshalb. Sondern weil sie das Dasein als Kanzlerin genießt. Kanzler hören nicht auf. Kanzler werden aufgehört.