Wenn das erste Kind zur Schule geht, muss man als Eltern den Alltag der Familie plötzlich anders planen.

Wir haben es geschafft! Die erste Woche von etwa 13 Jahren ist rum. Das kleine Wesen, das vorgestern erst Laufen und Sprechen gelernt hat, wenn ich mich recht erinnere, und immer im Buggy während der Fahrt die Bremse gezogen hat, ist groß. Sie hat beste Freundinnen, die ich noch nicht kenne, es ist ihr peinlich, wenn man beim Schweinebaumeln die Unterhose sieht. Und erkläre ich ihr, warum sie nicht mitmachen soll, wenn der schlaue Friedrich „Brillenschlange“ genannt wird, nickt sie zwar verständig, sagt aber: „Hoffentlich denken die anderen nicht, dass ich in Friedrich verliebt bin.“ Wer ist dieses Kind?

Bei der Einschulung war ich viel aufgeregter als sie. Wir hatten ihr eine große Schultüte mit einem gepunkteten Pferd nähen lassen. Ich kann nicht gut basteln, und es sollte ja schön werden. Sie hat das schwere Ding eigentlich nur fürs Foto getragen. Sonst lag die Schultüte im Rindenmulch des Schulhofs, oder einer der vielen Erwachsenen, die extra für diesen Anlass aus ganz Deutschland und der Schweiz angereist waren, trug sie. Vielleicht haben wir ein bisschen übertrieben, aber wenn wir unser Mädchen schon halbtags in die große Welt ziehen lassen müssen, dann wenigstens mit einer großen Feier und vielen Zeugen. Während wir gefeiert haben, hat die Tochter mit Bruder und Cousine den kompletten Inhalt der Tüte geplündert. Wir haben es erst gemerkt, als beide sich über komische Bauchschmerzen beschwerten.

Seit einer Woche weiß ich nun viel weniger von der Tochter, dem unbekannten Schulwesen. Bisher wussten wir eigentlich immer, was sie wusste und woher sie es wusste, nämlich von uns. Jetzt sind wir aus dem Spiel. Wir sind jetzt für die Erholung und Ablenkung zuständig. Wir sind das Wellnessprogramm.

Sie sagt „How are you, Mama?“ und fragt: „Soll ich dir vielleicht mal ‚Igor‘ schreiben?“ Warum Igor? Wer ist dieser Igor? Und als ich sie bei heißen 30 Grad fragte, ob sie Lust hätte, kurz an den See zu fahren, was bis vor einer Woche für aufgeregte Begeisterung gesorgt hätte, sagte sie: „Ach nö, ich hatte doch heute schon Sport ...“

„Mama-Tage“, bei denen sie den ganzen Tag im Nachthemd rumhüpft, fallen weg. Freie Tage gibt es nur noch nach Konsultation des Fieberthermometers oder bei auffälliger Fleckenbildung. Wir wollten immer auf den Ponyhof fahren. Außerhalb der Ferien. Zu spät. Die Wochen bei Oma und Opa in Hamburg? Nur in den Ferien. Wir müssen uns von unserer geliebten Last-minute-Mentalität verabschieden. „Wollten wir nicht nächste Woche in Urlaub fliegen?“ – „Mal sehen, kann ich noch nicht sagen.“ Die Skiferien sind vorsichtshalber gebucht. Wir haben das letzte Zimmer bekommen. Wir müssen anders planen und früh aufstehen. Der Vater ruft fröhlich: „Early to bed and early to rise, makes a man healthy, ­wealthy and wise.“ Was so viel bedeutet wie „Früher Vogel fängt den Wurm“ oder „Morgenstund hat Gold im Mund“, mit anderen Worten: Lauter Sätze, die man frühestens ab neun Uhr morgens vertragen kann, wenn überhaupt. Da ist die erste Schulstunde längst vorbei.

Und dann die Unsicherheit. Haben wir die richtige Schule ausgesucht? Wäre Trilingual nicht besser gewesen? Damit sie richtig aufgestellt ist für die Zukunft. Was ist das für eine Zukunft? Vielleicht Hedgefondsmanagerin in Singapur mit 90-Stunden-Woche? Sie soll Spaß haben. Vor ein paar Tagen hat der Dreijährige Musik angemacht. Tochter: „Wer ist das?“ Ich: „Louis Armstrong.“ Tochter: „Oh, der erste Mann auf dem Mond!“ Sie wird das schon machen.