Berlin.

Anousheh Ansari hat Geschichte geschrieben. Vor zehn Jahren war die US-amerikanisch-iranische Millionärin die erste Touristin im Weltraum, elf Tage verbrachte sie auf der Internationalen Raumstation ISS. Was sie geschafft hat, soll nun auch eine deutsche Frau schaffen. Eine Initiative um die Bremer Raumfahrtenthusiastin Claudia Kessler will die erste Deutsche ins All schicken – und sucht Anwärterinnen per Casting.

400 Frauen haben sich beworben, jetzt wird ausgesiebt. Am morgigen Mittwoch präsentiert Kesslers Unternehmen HG Space, eine Art Zeitarbeitsfirma für die Raumfahrtbranche, die Topkandidatinnen. Ab Oktober unterziehen sich 90 beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln psychologischen und medizinischen Tests. Bis März 2017 soll eine Entscheidung gefallen sein – anderthalb Jahre lang werden sich die zwei Besten zur Astronautin ausbilden lassen. Eine der beiden soll schließlich 2020 ins All fliegen.

Die Auswahlkriterien sind streng. „Eine Astronautin muss überdurchschnittlich leistungsfähig, motiviert und psychisch sowie körperlich in Höchstform sein“, fordert Kessler, die auch lange im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt saß. Die Bewerberinnen sind Kampfpilotinnen, Ingenieurinnen oder Medizinerinnen mit mindestens drei Jahre Berufserfahrung. Besonders gute Chancen haben abenteuerlustige Frauen mit Pilotenschein oder ausgefallenen Hobbys wie Klettern und Höhlenwandern. Unter den Bewerberinnen ist auch die Thüringer Geophysikerin Christiane Heinicke, die erst vor wenigen Wochen von einer einjährigen Marssimulation auf einem abgeschiedenen Vulkan auf Hawaii zurückkehrte.

Elf Deutsche waren bislang im Weltraum, der letzte war Alexander Gerst (40) aus Baden-Württemberg. Eine deutsche Frau im All, das gab es noch nie. Das Problem: Über den Einsatz von Astronauten wird nicht in Berlin entschieden, sondern nach einem regulierten Verfahren am Hauptsitz der Europäischen Weltraumorganisation Esa in Paris. Der Geschlechterfrage messen sie dort offenbar nicht so viel Bedeutung bei. Kesslers private Initiative sucht daher Sponsoren, um sich ein Ticket zur Raumstation ISS direkt bei den Russen kaufen zu können. 30 bis 40 Millionen Euro wird die Aktion kosten. Das klingt nach reinem Weltraumtourismus wie bei Ansari. Diesem Eindruck tritt Kessler allerdings entgegen. Die Astronautin solle nicht nur zehn Tage auf der ISS verbringen, sondern wissenschaftliche Erkenntnisse liefern. Deshalb wird sie Experimente durchführen. „Wir hoffen zudem auf Daten, wie sich das Leben im All auf weibliche Körper auswirkt“, sagt Andreas Schütz vom DLR. Das Luft- und Raumfahrtzentrum übernimmt die Gesundheitstests. Die ­Astronautinnensuche per Casting sei „mal ein völlig anderer Ansatz“.

Als Armstrong auf dem Mond landete, guckte Kessler zu

Einen Raumfahrthype wie in den USA und der früheren Sowjetunion hat es in Deutschland nie gegeben. Im Kalten Krieg war der Kampf ums All ideologisch aufgeladen. Lange sah es so aus, als würden die Sowjets den Wettstreit gewinnen, doch 1969 erlebte eine halb Milliarde Fernsehzuschauer, wie das US-Raumschiff „Apollo“ mit Neil Armstrong an Bord auf dem Mond landete. In den USA löst die Raumfahrt in der Bevölkerung bis heute stärkere Emotionen aus als in Deutschland. Dass die Branche hierzulande eine Männerdomäne ist, erklärt sich Claudia Kessler so: „Frauen machen im Stillen einen guten Job und hoffen, entdeckt zu werden.“ So aber laufe das nicht.

Kessler, eine begeisterungsfähige Frau Anfang 50, wollte einst selbst ­Astronautin werden. Der Weltraum ist das Thema ihres Lebens. Als Vierjährige verfolgte sie im Fernsehen die Mondlandung, später studierte sie in München Luft- und Raumfahrt. Eines Tages ergab sich plötzlich eine Gelegenheit: eine Ausschreibung für einen Flug ins All. Doch Kessler steckte mitten im Studium. Heute weiß sie, dass dies ihre erste und einzige Chance war. „Ich war immer zur falschen Zeit im falschen Alter.“ Inzwischen hat sie es über Umwege doch noch in den Dunstkreis der Raumfahrer geschafft. Kessler ist Managerin, ihr Unternehmen vermittelt hoch spezialisierte Techniker. Die Raumfahrt ist eine Nomadenbranche: Ist eine Mission beendet, ziehen die Ingenieure weiter zum nächsten Auftrag. Mit ihrem Casting verfolgt Kessler auch das Ziel, mehr Mädchen für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern.

So ganz hat sie ihren großen Traum vom Weltall noch nicht aufgegeben. „Vielleicht“, hofft sie, „werden kommerzielle Reisen irgendwann erschwinglich.“ Anousheh Ansaris Ausflug kostete stolze 20 Millionen Dollar.