Berlin.

Welche Berufe stressen? Erziehen gestresste Mütter ihre Kinder zu Burn-out-Kandidaten? Welche Warnsignale sind ernst zu nehmen? Der Stressforscher Professor Clemens Kirschbaum verrät erste Erkenntnisse aus der weltweit größten Burn-out-Studie.

Professor Kirschbaum, Sie leiten die weltweit größte biopsychologische Studie zum Thema Burn-out, die bis ins Jahr 2026 reicht. Können Sie erste Ergebnisse verraten?

Clemens Kirschbaum: Alle reden über Burn-out, aber eigentlich wissen wir gar nicht viel. Unsere Daten aus dem ersten Untersuchungsjahr sind da schon sehr spannend. In unseren ersten Analysen deutet sich an, dass Menschen mit hohen Burn-out-Werten weit höhere Werte des Stresshormons Cortisol aufweisen. Zugleich gibt es Veränderungen im Herz-Kreislauf-System, kurz: die kardiovaskuläre Entschleunigung funktioniert nicht mehr.

Sie könnten also künftig die Burn-out-Gefahr ablesen, bevor der Kandidat zusammenbricht?

Genau das ist eines der Ziele unserer Dresdener Burn-out Studie: Wir wollen Warnsignale, Zusammenhänge und Schutzmechanismen erkennen. Zum Beispiel ist unklar, warum nicht alle Dauergestressten ausbrennen. Hier setzt unsere Forschung an: Welche körperlichen und psychischen Faktoren machen uns stark, welche Gene oder frühkindlichen Erfahrungen machen uns anfällig für Burn-out.

Was wissen wir denn nun verlässlich über den Burn-out?

Kernsymptom ist eine tief greifende, emotionale Erschöpfung, die zu härteren psychischen Störungen führen kann, die wiederum Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes begünstigen. Oft geht Burn-out mit gesundheitsschädigendem Verhalten einher, etwa Rauchen, Medikamenten- oder Drogenmissbrauch, was die Folgen verschärft.

Eine landläufige Annahme lautet: Burn-out ist nur ein schickeres Wort für Depression. Stimmt das?

Grundfalsch. Wie bei Parkinson oder Krebs leiden viele Burn-out-Patienten unter Depressionen, aber als Folge, nicht als Ursache der Erkrankung. Kein Arzt der Welt würde einem Krebspatienten bescheinigen, dass er eigentlich nur unter einer Depression leidet. Es gibt bisher keine Belege dafür, dass beispielsweise die Gabe von Antidepressiva bei Burn-out eine Verbesserung erzielt. Solange wir Ursachen und Zusammenhänge nicht kennen, sollten wir mit solchen Therapien vorsichtig sein.

Was sind die klassischen Stressfaktoren?

Bei einem typischen Risikofall treffen hohe berufliche Verausgabungsbereitschaft, geringe Achtung der eigenen Belastbarkeitsgrenzen und die Neigung zu perfektionistischem Handeln zusammen. Die digitale Beschleunigung unseres Lebens begünstigt den Stress, ist aber nicht die Ursache. Burn-out wurde erstmals schon 1974 beschrieben, als Phänomen der Sozialberufe: hohes emotionales Engagement bei geringem Erfolg und wenig Anerkennung.

So lässt sich auch der hohe Krankenstand von Lehrern erklären?

Durchaus. Die emotionale Last gerade in Problemschulen wird unterschätzt. Da helfen keine Ferien.

Nicht jeder Gestresste bekommt Burn-out. Woran liegt das?

Oft fehlt den Gefährdeten das Gespür, Überlastungen frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. Dann kommen private Probleme hinzu. Der Betroffene verliert die Kontrolle über das eigene Tun, fühlt sich als Hamster in einem Laufrad, dessen Tempo er selbst nicht bestimmt. Am Ende steht ein akuter Auslöser: Streit am Arbeitsplatz, Mobbing, Stress in Partnerschaft oder Familie. Bei manchen scheint auch eine ansonsten banale Infektion den Zusammenbruch auszulösen.

Welche Warnsignale gibt es?

Wenn Arbeitsprobleme tief ins private Leben wirken: zunehmend schlechter Schlaf, immer längere Erholungspausen nach akutem Stress, Gefühl von Überforderung, sozialer Rückzug, ein zynischerer, negativer Umgang mit der Arbeit. Reizbarkeit kommt hinzu. Scheinbar sind 30- bis 50-Jährige besonders betroffen. Eine repräsentative Erhebung in Deutschland gibt es allerdings noch nicht.

Welche Berufe sind denn besonders gefährdet?

Traditionell gelten Berufsbilder wie Krankenpfleger, Ärzte, Lehrer und Sozialarbeiter als gefährdet. Inzwischen zählen auch Schüler und Studenten dazu, eigentlich jeder, der sich dauerhaft überfordert und gestresst fühlt. Schwindende Arbeitsplatzsicherheit bei höherer Produktivität und härterer Konkurrenz, ständige Erreichbarkeit und Überstunden addieren sich zu harten Risikofaktoren. Burn-out lauert überall.

Und was hilft?

Das Befriedigen ganz einfacher menschlicher Bedürfnisse: Sicherheit, Wertschätzung, Lob und angemessene Entlohnung – materiell wie immateriell. Am Ende ist es die gute alte Work-Life-Balance: klare Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben ziehen, Ruhezeiten einhalten, in denen die Arbeit keine Rolle spielt; Tätigkeiten, die Freude bereiten; Sport treiben. Was so einfach klingt, scheint für viele Menschen schwer umzusetzen zu sein. Überschätzt werden dagegen vermeintlich objektive Faktoren wie Führungsebene, Position, Verantwortung. Burn-out ist kein Elitenproblem.

In zahllosen Ratgebern ist zu lesen, dass „Entschleunigung“ und „Achtsamkeit“ der Therapie dienen. Stimmen Sie zu?

Zwei gut vermarktete Schlagwörter, hinter denen sich zwar relevantes Wissen verbirgt, deren wissenschaftliche Fundierung aber noch dünn ist. Die Fähigkeit, sich mehr Ruhe und Bedächtigkeit zu gönnen, spielt in der Burn-out-Prävention aber unbestreitbar eine Rolle. Und das Achten auf Rückmeldungen aus unserem Körper sowie Genussfähigkeit im Sinne von positiven emotionalen Verstärkern steigern fraglos die Lebensqualität.

Was kann ich selber tun, wenn ich erkrankt bin?

Im schweren Stadium hilft vermutlich nur eine längerfristige Krankschreibung, um wieder vollständig zu Kräften zu kommen. In früheren Phasen kann es helfen, realistischere Arbeitsziele auszuhandeln, Aufgaben abzugeben oder sich damit abzufinden, dass das, was geschafft werden soll, nicht immer auch geschafft wird. Alles, was dem inneren Gleichgewicht hilft, sollte angezapft werden: ein gutes Buch, ein Tanzkurs, Theater. Und Wertigkeiten ins Bewusstsein rufen: Geht es im Job wirklich jedes Mal um Leben oder Tod? Ist es sinnvoll, Freundschaften auf Facebook inniger zu pflegen als in der Realität?

Inwieweit spielen die Gene beim Burn-out eine Rolle?

Eine große schwedische Zwillingsstudie hat herausgefunden, dass vermutlich ein Drittel des Burn-out-Risikos auf genetische Faktoren zurückgeführt werden kann.

Und wie kann ich meine Kinder präventiv schützen? Handy wegnehmen?

Zumindest nachts, damit der Schlaf nicht leidet. Kinder brauchen die Fähigkeit, auf Leistungen stolz und mit sich selbst zufrieden zu sein. Sie können lernen, Grenzen zu setzen, sich nicht von allen Anforderungen mitreißen und verunsichern zu lassen. Gerne würde ich predigen, dass Kinder und Jugendliche lernen müssen, sich bewusst am Tag von ihren elektronischen Fußfesseln wie Smartphone und Computer zu befreien. Als Vater von zwei Teenagern weiß ich aber, dass das schwer umzusetzen ist. Ob ein kontrollierter Umgang mit der hochvernetzten Welt vor Burn-out schützt, wissen wir nicht. Aber die Vermutung liegt nahe.