Berlin.

Geht es um Rheuma, haben viele Menschen sofort ein Bild im Kopf: geschwollene, verformte Fingergelenke, Hände, die steif und kaum zu gebrauchen sind. Doch was steckt eigentlich dahinter? Zunächst einmal: Das eine Rheuma gibt es nicht – hinter dieser umgangssprachlichen Bezeichnung verbergen sich zahlreiche, höchst unterschiedliche Autoimmunerkrankungen. Folgt man der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO), bezeichnet der Begriff Rheuma „Schmerzen und Funktionsstörungen des Bewegungsapparates“, die Europäische Liga gegen Rheuma (EULAR) versteht darunter „rheumatische und muskuloskelettale Erkrankungen“. „Von rheumatischen Erkrankungen im engeren Sinne spricht man aber nur im Zusammenhang mit den entzündlichen rheumatischen Erkrankungen“, erklärt die Präsidentin der Deutschen Rheuma-Liga, Prof. Erika Gromnica-Ihle. Darunter leiden in Deutschland immerhin 1,45 Millionen Erwachsene und etwa 15.000 Kinder.

Die in diesem Zusammenhang bedeutsamste – weil häufigste – Erkrankung mit mehr als einer halben Million Betroffenen in Deutschland, darunter dreimal mehr Frauen als Männer, ist die rheumatoide Arthritis, bei der Wucherungen der Gelenkinnenhaut, ähnlich wie ein Tumor, Knorpel und Knochen zerstören. Diese Krankheit ist es auch, die der Vorstellung vieler Menschen das passende Bild liefert, denn ihre ersten Symptome äußern sich meist an den kleinen Fingergelenken.

Ohne erkennbare Ursache kommt es zu Schwellungen und Schmerzen in den Gelenken, meist symmetrisch an beiden Händen, oft korrespondierend an den Zehen. „Die Symptome sind morgens am schlimmsten, können bis mittags jedoch vollkommen abgeklungen sein“, sagt Erika Gromnica-Ihle. Dauert dieser Zustand mindestens sechs Wochen an und fühlen sich die Patienten außerdem müde und abgeschlagen und bemerken eine verringerte Leistungsfähigkeit, sind das weitere Indizien für eine rheumatoide Arthritis. Sie kann prinzipiell in jedem Lebensalter auftreten, wobei die meisten Neuerkrankungen allerdings etwa ab 35 Jahren verzeichnet werden.

Schreitet die Krankheit voran, kann sie theoretisch fast alle anderen Gelenke in Mitleidenschaft ziehen. Außerdem sind mitunter Sehnen, Schleimbeutel und innere Organe befallen. Manche Patienten entwickeln zudem Begleiterkrankungen wie Blutarmut, Osteoporose, Herzinfarkt oder Schlaganfall. Welche der vielen bekannten Einzelmechanismen die rheumatoide Arthritis und andere rheumatische Erkrankungen bei einem bestimmten Patienten auslösen, ist vor allem bei Fehlen der typischen Symptome nicht zu bemessen. Fest steht aber, dass sowohl eine familiäre Veranlagung als auch verschiedene Umweltfaktoren eine Rolle spielen – lediglich einer dieser Faktoren ist genau identifiziert: Rauchen könne eine rheumatische Erkrankung nicht nur verschlimmern, sagt Prof. Ulf Müller-Ladner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie und Direktor der Abteilung Rheumatologie und Klinische Immunologie der Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim. „Rauchen kann sogar der Auslöser sein.“

Heilbar sind rheumatische Erkrankungen nicht, das Ziel der Therapie ist stets die Remission, also ein Ruhen der Grunderkrankung: „Man bekämpft die Entzündungen und versucht Folgeschäden aufzuhalten“, sagt Ulf Müller-Ladner. Je früher die Erkrankung entdeckt und korrekt diagnostiziert wird, desto besser stehen die Chancen, dass der Patient schmerzfrei und arbeitsfähig bleibt. In einigen Fällen könne nach der ersten Behandlungsphase, die aber bis zu mehreren Jahren dauern kann, sogar für lange Zeit auf Medikamente verzichtet werden.

Die Diagnostik allerdings, so Müller-Ladner, gleiche einem Krimi: „Viele Indizien wie Entzündungszeichen und spezielle Rheumafaktoren im Blut können auf die Krankheit hindeuten, beweisen ihr Vorliegen aber noch nicht. Erst, wenn man alle Puzzleteile zusammengefügt hat, kann man eine sichere Diagnose stellen. Schema F funktioniert hier nicht.“ Denn gerade zu Beginn kommen und gehen die Symptome schubartig.

Für die Therapie greifen Ärzte heute auf zwei große Gruppen von Medikamenten zurück: chemische Substanzen in Tablettenform oder die per Spritze oder Infusion verabreichten Biologika. Dabei handelt es sich um gentechnisch veränderte Eiweiße, die gezielt Entzündungsmoleküle abfangen und ausschalten und bei Beachtung der Regeln sehr gut verträglich sind.

Die Kosten für die Behandlung sinken langsam

„Rein medizinisch betrachtet sind diese Wirkstoffe ein Meilenstein in der Rheumabehandlung“, sagt Müller-Ladner. Allerdings ein sehr teurer: Derzeit kostet eine Jahrestherapie etwa 15.000 bis 20.000 Euro. Da bei einigen Präparaten aber mittlerweile der Patentschutz ausläuft und erste Nachahmerprodukte, Biosimilars genannt, auf den Markt kommen, beginnen die Kosten langsam zu sinken. „In den letzten 10 bis 15 Jahren hat sich in der Rheumaforschung sehr viel getan“, so Müller-Ladner. Die Zahl der verfügbaren Medikamente steige kontinuierlich, jedes Jahr kämen ein oder zwei Präparate hinzu. Dank der großen Auswahl könne die Behandlung mittlerweile sehr exakt auf den einzelnen Patienten abgestimmt werden. Mit den sogenannten small molecules steht überdies ab 2017 eine weitere neue, offenbar gut wirksame Medikamentenklasse vor der Zulassung in Deutschland.

Gedulden müssen sich allerdings jene Patienten, die unter den selteneren rheumatischen Erkrankungen leiden: Für einige gibt es nach wie vor keine spezialisierten Präparate. Und ein weiteres generelles Problem beschäftigt die Rheumatologen: „Der Fortschritt kommt nicht bei allen Patienten an“, sagt Erika Gromnica-Ihle. Für eine optimale Versorgung wäre der Deutschen Rheuma-Liga zufolge ein Rheumatologe je 50.000 Einwohner erforderlich, nach jetzigem Stand müsste sich die Zahl der Rheumatologen verdoppeln.

„Eigentlich müssten Rheuma-Patienten einen Termin innerhalb von vier Wochen bekommen“, sagt Gromnica-Ihle, doch das sei bei der Versorgungslage oft schwierig. Dabei ist eine schnelle Behandlung entscheidend für die Prognose – denn ist die Krankheit erst einmal vorangeschritten, hilft dem Patienten auch die beste Therapie nur bedingt.