orsichtiger als ein rohes Ei ergreifen Christine Chavez und ihre wissenschaftliche Assistentin Katharina Süberkrüb den ovalen Rand der fragilen Maske mit Handschuhen. Was sie hier, im Fotografenzimmer des Museums für Völkerkunde, für kurze Zeit aufrichten, ist eine Rarität von unschätzbarem Wert, eine Schamanen-Maske von 1881 aus Südwest-Alaska. Gearbeitet ist sie aus Holz, gebunden mit Weide und Tierdarm, kunstvoll bemalt und an den Enden mit Vogelfedern verlängert. Grimmig blickt das in Holz geschnitzte Gesicht mit dem abwärts gebogenen Mund geradeaus.

Der sechsbeinige, aus Treibholz gefertigte Hilfsgeist, der auf einem Biber (in die Geisterwelt?) reitet, diente Ende des 19. Jahrhunderts einem Schamanen aus der Region des Flusses Kuskokwim in Alaska als Maske. Sie musste allerlei über sich ergehen lassen, weshalb man sicher sein kann, dass die Maske früher strapazierfähiger war, als sie heute aussieht, denn sie wurde von Tänzern vors Gesicht gehalten und war Teil schamanistischer Beschwörungsrituale. „Schamanen hatten kein leichtes Leben“, erklärt Kuratorin Chavez. „Sie waren die Mittler zwischen ihrer Dorfgemeinschaft und der spirituellen Welt. Mithilfe solcher Helfer mussten sie Krankheiten besiegen, Geister besänftigen oder sie bitten, den Jagderfolg zu sichern, damit ihr Volk, das auf sie zählte, weiter zurechtkam.“

Das Objekt zählt zu den weltweit wohl am besten erhaltenen und schönsten Exemplaren einer solchen Schamanen-Maske der Yupik. Nun ist sie Teil einer Doppelausstellung mit dem Titel „EisZeiten“. „Sie wurde auf Anweisung des Schamanen gestaltet und geht wahrscheinlich auf seine Vision oder seinen Traum zurück“, so Chavez. Die Ausstellung mit der Maske und vielen weiteren Exponaten aus dem gesamten arktischen Raum findet parallel im Museum für Völkerkunde Hamburg und im Archäologischen Museum Hamburg statt.

Aber die Maske hatte noch einmal ihren großen Auftritt. Das war vor nunmehr 80 Jahren. Damals, erzählt die Kuratorin, hatte der Surrealisten-Wortführer André Breton eine Ausstellung in der Pariser Galerie von Charles Ratton kuratiert, die außereuropäische Objekte künstlerisch auf Augenhöhe mit surrealistischen Werken präsentierte. Eines der Schlüsselobjekte war jene Maske, die ihm außerordentlich gut gefiel: „Breton sah in der Maske den Ausdruck der Grenzüberschreitung, den Übergang in die Erfahrung des Traumes“, erklärt Christine Chavez.

Was die Surrealisten sich erst mühselig erarbeiteten, nämlich den Zugang in die Welt der Träume, das erreichten die Schamanen der indigenen Völker mittels Tänzen und Ritualen mit völlig anderen Mitteln und Zielen. Als die Pariser Ausstellung schloss, wurden die Exponate versteigert. So kommt es, dass dieses faszinierende Stück seit 1936 im Besitz des Hamburger Völkerkundemuseums ist.

Katja Engler