Honolulu.

Die weiße Kuppel inmitten von Vulkangeröll hat einen Durchmesser von nur elf Quadratmetern. Es gibt ein Sofa, Schreibtische, ein Laufband und winzige Schlafkabinen für die sechs Bewohner – alles sieht so aus wie eine mögliche Station auf dem Roten Planeten. Ein Jahr hat die Deutsche Christiane Heinicke in dieser kargen, marsähnlichen Landschaft des Vulkans Mauna Loa auf Hawaii verbracht. Gestern durfte sie ihr selbst gewähltes Gefängnis endlich verlassen. Sie sehe ihrem neuen Leben in Freiheit „mit gemischten Gefühlen“ entgegen, berichtet die 30-Jährige. Es war das Ende eines ungewöhnlichen Experiments.

Vor allem die Gruppendynamik hatte es in sich: „Mit den immer gleichen Menschen auf engem Raum ist es schwierig, sich von Reibereien abzulenken.“ Schnell gab es immer wieder Streit. Die Extremsituation habe an den Nerven gezerrt. „Für uns als Gruppe war eines der größten Konfliktthemen die Sicherheit. Die einen sahen überall Gefahren und wollten alles sicher machen, die anderen fühlten sich in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt.“

Das Experiment sollte zeigen, wie eine Raumfahrercrew so lange Zeit unter widrigen Bedingungen auf engstem Raum überstehen kann, abgeschirmt vom Rest der Menschheit. Für die Raumfahrtforschung birgt diese Simulation Erkenntnisse von unschätzbarem Wert. Denn falls sich bis zum Jahr 2030 wirklich Menschen zum Mars aufmachen – ein Fernziel mehrerer Raumfahrtnationen –, könnte allein schon die Reise dorthin zwölf Monate dauern. Eine weitere Hürde wäre das Zusammenleben des Teams auf dem Mars, der etwa 228 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist. Es müsste in einer unwirtlichen Kraterlandschaft ohne Sauerstoffatmosphäre so lange ausharren, bis die Planetenkonstellation günstig für einen Rückflug ist. Das kann mehr als ein Jahr dauern. Schon öfter haben Wissenschaftler für körperliche und soziale Raumfahrttests zusammen in unwirtlichen Bergregionen gelebt. Die Studie der US-Weltraumbehörde Nasa und der Universität Hawaii mit drei Männern und drei Frauen gilt als die bislang längste Simulation des Lebens auf dem Mars.

Das Leben in der Station war entbehrungsreich: Die warmen Mahlzeiten, bestehend aus gefriergetrocknetem Fleisch, Gemüse und Obst, bereitete sich das Team mit Solarenergie zu. Zwar bauten sich die Testastronauten auch Gemüse an, der Ertrag aber war enttäuschend. „In dem ganzen Jahr hatten wir vielleicht zwei- oder dreimal frische, winzige Tomaten“, schreibt Heinicke in einem E-Mail-Austausch mit dieser Redaktion. Duschen durfte jeder nur acht Minuten – pro Woche. Ausflüge nach draußen mussten lange vorher geplant werden und waren nur in Raumanzügen möglich.

Wasser aus Lavagestein –ein furchtbarer Geschmack

All das hat die junge Wissenschaftlerin in Kauf genommen. Heinicke stammt aus Bitterfeld, hat im thüringischen Ilmenau und in Schweden Geophysik studiert und vor ihrer Reise nach Hawaii in Finnland über Meereis geforscht. Im Marsteam war Christiane Heinicke für die Wassergewinnung aus Lavagestein zuständig. „Über das gesamte Jahr habe ich grob geschätzt 100 Liter aus einem Quadratmeter gewonnen“, teilt sie mit. Das sei auch auf dem Mars eine relativ einfache Möglichkeit, an Wasser zu kommen.

Doch auf Hawaii folgte die Enttäuschung. „Es schmeckte furchtbar“, so die Forscherin. Letztlich goss Heinicke mit ihrer Ausbeute die Tomatenstauden. In ihrer Freizeit hat sie viel gelesen, auf dem Laufband Sport getrieben, Französisch gelernt und Mundharmonika gespielt.

Ein Jahr soll die Auswertung aller Daten der Simulation nun dauern. Christiane Heinicke hat gemerkt, dass sie für das Leben in der Isolation geschaffen ist. Sie hat sich als Astronautin bei einer privaten Initiative beworben, die die erste deutsche Frau auf die Internationale Raumstation bringen will. Auch zum Mars möchte sie reisen. Aber nur, wenn die Technik ausgereift sei, die richtigen Menschen sie begleiteten und es einen Rückflug zur Erde gebe. „Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es so viel zu entdecken: Höhlen, die für Marsrover unzugänglich sind, und vielleicht finden wir ja auf dem Mars auch Spuren von Leben.“ Mit drei ihrer Gefährten möchte sie nach dem Auszug Kontakt halten. Die Gruppe wäre für eine Expedition zu einem fremden Planeten geeignet. „Uneingeschränkt ja“, hatte Projektleiter Bryan Caldwell von der University of Hawaii in Manoa bereits zur Halbzeitbilanz im März gesagt.

Erst einmal freut sich Christiane Heinicke nun auf das Dasein in Freiheit. Sie möchte ihre Freunde und Familie wiedersehen, frisches Obst essen, Fahrrad fahren, faul in der Sonne liegen und „meine Haare wieder knalllila färben“. Andererseits, berichtet sie, werde sie ihr Leben in der Station vermissen. „Sie ist mein neues Zuhause geworden.“