Amatrice.

Ein Holzkreuz hängt unter einer Plastikplane, ein Tisch ist zu einem Altar umfunktioniert. Der Pfarrer hat seinen Talar übergezogen. Im Speisezelt des Zeltlagers von Amatrice ist Messe, mehrmals am Tag. Die Überlebenden wollen um ihre Toten trauern, sie wollen für sie beten. Aber in Amatrice gibt es keine Kirchen mehr.

267 Menschen kamen bei dem schweren Erdbeben in Italien ums Leben, 387 wurden verletzt ins Krankenhaus gebracht. Eine offizielle Zahl zu den Vermissten gab es nicht.

Die Helfer gruben gestern weiter, aber sie hatten keine Hoffnung mehr, Überlebende zu finden. Nicht mehr als 24 Stunden kann ein Mensch ohne Wasser in einem vom Erdbeben zerstörten Haus normalerweise überleben.

Daher grenzte es an ein Wunder, dass die vierjährige Giorgia aus den Trümmern geborgen werden konnten. Die Helfer wollten es nicht glauben, als sie das Kind herausholten. Helfer Massimo Caico erinnert sich, er habe immer wieder geschrien: „Sie lebt!“ Die tragische Geschichte: Ihre Schwester Giulia hatte sich über sie gebeugt, um sie zu schützen und ist dabei ums Leben gekommen.

Nach den mehr als 40 Nachbeben sind die Zufahrtswege zum völlig zerstörten Ort Amatrice weitgehend unpassierbar. Mehrere Brücken seien so stark beschädigt, dass sie nicht mehr benutzt werden könnten. Jetzt gibt es nur noch eine funktionierende Brücke, die „Ponte Rosa“, die jedoch ebenfalls vom Einsturz bedroht ist. „Die Situation ist prekär“, sagte Bürgermeister Sergio Pirozzi. „Wenn die Brücke nachgibt, haben wir keine Verbindung mehr zur Außenwelt.“ In dem Dorf, das als eines der schönsten Italiens galt, werden noch immer mindestens 15 Menschen vermisst.

Am Sonnabend wird in der Provinzstadt Ascoli Piceno die Trauerfeier stattfinden. Auch Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella wird kommen. Eine Trauerfeier soll aber auch in Amatrice stattfinden, auf einer Wiese, so will es Bürgermeister Sergio Pirozzi. 207 Tote hat das verheerende Erdbeben vom frühen Mittwochmorgen allein in dieser kleinen Gemeinde gefordert.

Pirozzi sagte, das „Amatrice komplett dem Erdboden gleichgemacht“ werden muss. Im mittelalterlichen Ortskern sei kein Gebäude mehr intakt, man wolle das Dorf aber am gleichen Ort wieder aufbauen, „vielleicht in gleicher Form, mit der gleichen Ästhetik“. Das Dorf galt als eines der schönsten Dörfer Italiens. Vor allem muss Amatrice, genau wie die umliegenden Orte, die zerstört wurden, mit den nötigen Sicherheitsmaßnahmen wieder aufgebaut werden. Was an Bausubstanz bleibt, muss erdbebensicher saniert werden.

Immer wieder fordern Erdbeben in Italien viele Opfer und Zerstörung, weil überfällige Sicherheitsstandards nicht eingehalten werden. Nach Schätzungen entsprechen nur 30 Prozent der Bausubstanz in Italien den gesetzlichen Auflagen für das hohe Erdbebenrisiko im Land.

Ein italienische Ingenieurkollegium schätzt, dass 15 Millionen Wohnungen, also die Hälfte aller Wohneinheiten in Italien, nicht ausreichend oder gar nicht gegen Erdbebenschäden gesichert sind.

Ein Symbol wurde jetzt die Schule von Amatrice, die fast komplett eingestürzt ist. Sie war erst 2012 nach einer kompletten Sanierung neu eröffnet worden. Bürgermeister Pirozzi verteidigte sich: die Schule sei nach allen Standards restauriert worden. Das hatte er auch in Interviews am Tag der Eröffnung 2012 der Presse erklärt.

Doch in Italien erinnert man sich mit Grauen an ein Erdbeben von 2002 in San Giuliano di Puglia weiter südlich in der Region Molise gelegen. Damals starben 27 Schüler und eine Lehrerin unter dem Dach der Schule, das einfach heruntergestürzt war.

Auch in Accumoli ist bei dem Erdbeben am Mittwochmorgen der Kirchturm eingestürzt und auf ein Wohnhaus gefallen. Eine Familie, Vater, Mutter und zwei Kinder, wurden darunter begraben. Die beiden öffentlichen Gebäude sind nun Inhalt eines Ermittlungsverfahrens, das die Staatsanwaltschaft von Ascoli Piceno wegen fahrlässiger Tötung durch mangelnden Katastrophenschutz eingeleitet hat.

Regierung stellt 50 Millionen Euro Soforthilfe bereit

Der Präsident des Verbandes italienischer Geologen, Francesco Peduto, sagte dieser Zeitung. „99 Prozent aller neueren Gebäude in besonders erdbebengefährdeten Gegenden werden heute nach den gültigen Vorschriften gebaut“. Doch die Definition der Risikoregionen sei oberflächlich, das Kartenmaterial nicht differenziert genug. Es werde nur mit allgemeinen Messwerten gearbeitet. Die könnten aber von Ort zu Ort sehr unterschiedlich sein.

Regierungschef Matteo Renzi stellte 50 Millionen Euro als Soforthilfe zur Verfügung, insgesamt sollen 234 Millionen Euro ins Erbebengebiet fließen.