Berlin.

Staatlich empfohlene Hamsterkäufe, Rucksackverbot auf dem Münchner Oktoberfest, mehr Polizeipräsenz: Die Terrorgefahr macht den Deutschen einer Umfrage zufolge derzeit am meisten Angst. Wie aber geht man damit um? Und macht die Furcht womöglich krank? Angstforscher Professor Peter Zwanzger, Ärztlicher Direktor für Allgemeinpsychiatrie und Psychosomatische Medizin am Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg, findet Terrorangst „nachvollziehbar“. Er erklärt, wie Menschen gegensteuern können, wenn sie übermächtig zu werden droht.

Herr Zwanzger, wozu ist Angst überhaupt gut?

Professor Peter Zwanzger: Angst sorgt dafür, dass der Mensch eine Bedrohung besser einschätzt. Sie macht ihn risikobewusst und hilft ihm, sich vor Gefahren zu schützen. Man wird wachsamer, schaut genauer hin, hört genauer hin, wird aufmerksamer für bestimmte Außenreize.

Diese Angst mag mir helfen, wenn ich die dunkle Unterführung meide und einen besser beleuchteten Umweg wähle. Aber die Bedrohung durch einen Anschlag ist allgegenwärtig und diffus. Ergibt diese Angst auch Sinn?

Die Angst ist auf jeden Fall nachvollziehbar. Das Besondere an Terror ist, dass er unvorhersehbar ist und aus heiterem Himmel kommt.

Was kann man tun, um mit dieser Angst umzugehen?

Man kann sich überlegen, wie hoch das Risiko ist, Opfer eines Attentats zu werden. Letztlich ist die Wahrscheinlichkeit extrem gering. Die Gefahr, durch einen Autounfall zu sterben, ist weitaus größer. Und man steigt dennoch jeden Tag ins Auto. Um die unspezifische Angst einzugrenzen, ist es gut, sich mit anderen auszutauschen und sich gegenseitig zu bestärken.

Hilft es, sich möglichst viele Informationen zu beschaffen?

Es kommt auf die Qualität der Information an. Bei dem Amoklauf in München wurden die Informationen sehr schnell verbreitet, über Twitter und andere soziale Medien, da waren nicht nur journalistische Profis, sondern normale Menschen die Quelle. Diese Nachrichten waren sehr emotional gefärbt und beruhten auf einer subjektiven Einschätzung.

Aber man braucht doch möglichst viele Informationen, um die persönliche Gefahr für sich besser einschätzen zu können.

Das ist richtig. Aber es birgt auch die Gefahr einer umso größeren Verunsicherung. Es ist besser, mal eine Pause zu machen und nicht 24 Stunden online zu sein und das Geschehen in Echtzeit mitzuverfolgen. Das ist nicht gut für die Seele. Dann traut man sich nicht mehr, die Wohnung zu verlassen.

Die Münchner Polizei riet doch dazu, zu Hause zu bleiben.

Das ist richtig. Aber ich würde es als überbordende Angstreaktion bezeichnen, wenn man in Hamburg nicht mehr einkaufen geht, weil in Rosenheim gerade etwas passiert ist.

Wäre es auch eine überbordende Angst­reaktion, wenn ich den S-Bahn-Waggon wechsle, weil jemand einsteigt, der mir merkwürdig vorkommt?

Zu viel Angst ist schlecht, zu wenig aber auch. Es ist sinnvoll, wachsam zu sein. Andererseits sollte man sich nicht von jedem verunsichern lassen, der finster guckt. Wenn man in den Zug, den man nehmen wollte, nicht einsteigt, weil einem jemand seltsam vorkommt, schränkt man seinen Aktionsradius bei einer sehr geringen Bedrohungslage sehr stark ein.

Wenn nun genau das mein Leben rettet, dass ich an dem Abend nicht in dieses Lokal gegangen bin?

Sie können viele solcher Beispiele konstruieren, daraus lassen sich keine Handlungsempfehlungen ableiten.

Der Politologe Herfried Münkler rät zur „Vergleichgültigung“, um die Terrorangst zu begrenzen.

Eine gewisse Gleichgültigkeit, ein emotionaler Mantel oder, besser, emotionaler Filter kann hilfreich sein, um nicht jeden Reiz so nah an sich heranzulassen.

Braucht man einen Therapeuten, um sich solch einen „Schutzmantel“ zuzulegen?

Nicht jeder braucht einen Supervisor oder Coach. Das hängt von der individuellen Persönlichkeit und der psychischen Belastbarkeit ab. Oft genügt es nachzudenken.

Wer ist anfälliger für Ängste?

Menschen, die schon einmal an einer psychischen Erkrankung, Depressionen oder einer Traumaerfahrung litten. Sie sind verwundbarer.

Was führt zu einer behandlungsbedürftigen Angststörung?

Da kommen viele Faktoren zusammen, auch körperliche. So spielen die Hirnfunktionen eine Rolle, auch der Hormonstatus. Ein Umwelterlebnis allein führt in den allerseltensten Fällen zu solch einer Dekompensation von Außenreizen. Das gilt nicht für Menschen, die Augenzeuge oder Opfer eines Attentates wurden. Bei ihnen kann das Erlebnis ausreichen, um an einer Angststörung zu erkranken.

Wie werden Angststörungen behandelt?

Ein Patient fühlt sich etwa durch einen unbedeutenden Vorfall in seinem Persönlichkeitskern erschüttert, er schreit und schimpft. Der Therapeut würde ihn dazu anleiten, diese als Angriff empfundene Situation richtig einzuordnen. Er vergegenwärtigt sich, welcher Reiz der eigentliche Auslöser für die Angst war. Es geht darum, die unspezifischen Trigger zu erkennen – vielleicht war es die schlechte Luft im Abteil, eine Lautsprecherdurchsage oder ein komischer Blick. Er lernt, mit Reizen angemessen umzugehen, und trainiert, nicht auf jeden Reiz mit Panik zu reagieren.