Lauterbrunnen.

Sein letztes Lebenszeichen hinterlässt Uli Emanuele auf Facebook. Dienstagabend veröffentlicht er ein Foto von sich vor einem Bergpanorama, er schaut Richtung Horizont. „Sonnenuntergang in den Dolomiten“, schreibt Emanuele dazu. Er sei bereit für einen neuen Sprung. Einen Tag später prallt der 30-Jährige im Flug gegen eine Felswand und stürzt in die Tiefe, für ihn kommt jede Hilfe zu spät. Nicht der einzige Todesfall an diesem Tag im schweizerischen Lauterbrunnen. Auch ein 49-jähriger Basejumper aus Großbritannien stirbt an diesem Nachmittag. Die tragischen Ereignisse werfen ein Licht auf eine Extremsportlerszene, die den Tod billigend in Kauf nimmt.

Basejumping – das Fallschirmspringen von festen Objekten – gilt als gefährlichster Sport der Welt. Base steht für Buildings (Gebäude), Antennas (Antennen), Spans (Brücken) und Earth (Felsen). Die meisten „Baser“ sind ausgebildete Fallschirmspringer – weil ihnen der Sprung aus dem Flugzeug zu langweilig ist, suchen sie beim Basejumping eine neue Herausforderung. Seit einigen Jahren holt sich ein Teil der Szene seinen Kick bei Sprüngen Wingsuits genannten Flügelanzügen. Die luftumströmten Stoffflächen zwischen Armen und Beinen wirken wie Flügel. Eigentlich dienen die Anzüge dazu, möglichst schnell weit weg von der harten Felswand zu fliegen. Viele Springer gehen aber auf sogenannte Konturenflüge, rasen mit bis zu 180 Stundenkilometern an den Steinkanten entlang.

Auch Uli Emanuele benutzte Wingsuits für seine Sprünge. Der gebürtige Südtiroler war das Aushängeschild der Szene. Im vergangenen September schwärmte er in der Talkshow von Markus Lanz von den vogelähnlichen Freiflügen in den Momenten, bevor sich der Fallschirm öffnet. Er saß da im T-Shirt und mit strubbeligen Haaren, präsentierte sich als einer, der den Tod akzeptiert. „Wenn man diesen Sport ausübt, muss man damit rechnen. Es lohnt sich, dafür zu sterben.“ Lebensmüde sei er jedoch nicht, betonte Emanuele damals in dem Hamburger Fernsehstudio. „Das Letzte, woran ich vor jedem Sprung denke, ist: Mach keinen Fehler – es könnte dein letzter sein.“

Mehr als 40 Totein einem Dorf

In Deutschland, wo das Springen nur mit behördlicher Genehmigung legal ist, sind die Baser im Verein Deutscher Objektspringer organisiert. Der Franke Hajo Schirber war im Jahr 2000 eines der Gründungsmitglieder, er warnt seit Jahren vor den Gefahren insbesondere der Konturenflüge. „Wem da Erfahrung und Nerven fehlen, riskiert sein Leben“, sagt Schirber. Überschlage sich der Springer ungewollt beim Absprung, könne Panik einsetzen, die ihn lähme. „Wer Todesangst hat, verliert sein Zeitgefühl“, so Schirber, „dabei zählt jede Sekunde, den Fehler zu korrigieren.“ Basejumping beschreibt er als Sucht.

Weltweit sind seit Anfang der 80er-Jahre, als der Extremsport langsam populär wurde, mehr als 260 Basejumper umgekommen. Mehr als 40 davon starben nahe dem Dörfchen Lauterbrunnen in den Schweizer Alpen. Der 2500-Seelen-Ort im Berner Oberland gilt als Basejumping-Mekka. Nach einer Stunde Fußweg erreichen Wanderer eine fast senkrechte Felswand – für die Extremsportler ein Traum. Warum Uli Emanuele dort verunglückte, ist noch unklar. Laut Polizei geriet er während des Fluges ins Straucheln und prallte deswegen gegen den Fels. Er soll während seines Sprungs Filmaufnahmen gemacht haben. Die Gegend kannte er gut: Der gelernte Drucker arbeitete jahrelang als Tellerwäscher in Lauterbrunnen. Vor gut einem Jahr wurde er über die Szene hinaus bekannt, als er durch ein enges Felsloch flog. Die spektakulären Bilder gingen um die Welt.

Als Uli Emanuele im vergangenen September in Markus Lanz’ Talkshow saß, sprach er auch davon, was ihn persönlich antrieb. Drei gute Freunde seien beim Basejumping umgekommen, auch er habe vor seinen waghalsigen Sprüngen oft Angst. Aber das nehme er auf sich, um sich lebendig zu fühlen. „Im Leben sind wir nie völlig frei. Nur beim Fliegen, da entscheide ich alles.“