Dresden.

Jens Schade ist Leiter des „Wahrnehmungslabors“ der TU Dresden. Für das Bundesamt für Straßenwesen entwickelt er Kriterien, um das Klima im Verkehr regelmäßig zu messen.

Im Verkehrsalltag heißt es oft: Autofahrer gegen Radfahrer gegen Fußgänger. Woher kommt diese Aggressivität?

Schade: Diese These ist empirisch nicht belegt. Im Internet sind massenhaft Videos mit einzelnen aggressiven Aktionen zu sehen. Das erhöht die Wahrnehmung des Verhaltens als wachsendes Problem. Autofahren erleichtert jedoch in gewisser Weise aggressives Verhalten. Im Auto ist man anonym, tritt nicht von Mann zu Mann an, wenn es Konflikte gibt. Man möchte sein Ziel erreichen, wird daran zum Beispiel durch einen Stau oder andere Verkehrsteilnehmer behindert. Dann entsteht Frust, der sich in aggressivem Verhalten Luft verschaffen kann.

Mitunter fahren gerade Radfahrer riskant und ohne zu schauen. Woher kommt diese laxe Einstellung zum Risiko?

Bei Rot über die Ampel zu fahren, wird von vielen Radlern zum Beispiel kaum als Risikoverhalten angesehen. Sie schauen schon genau hin und glauben, dass sie die Situation im Griff haben. Wenn das tausendmal gut geht, wird es nicht mehr als Risiko eingestuft. Dazu kommt die normative Kraft des Verhaltens anderer. Wenn alle anderen an ihnen an einer roten Ampel vorbeifahren, warten sie beim nächsten Mal auch nicht mehr, bis es grün wird. Das subjektive Risiko wird als gering empfunden. Zwar steigen die Unfallzahlen hier an. Allerdings nimmt der Radverkehr stärker zu.

Warum zeigen Raser so wenig Einsicht hinsichtlich ihrer Fahrweise?

Die Fahrer erleben die Situation in der Regel als kontrollierbar und sie bekommen zu selten negative Rückmeldung in Form von Strafen. So kann man durchaus jahrelang zu schnell fahren, ohne dass man bestraft wird oder ein Unfall geschieht. Gesellschaftlich wird Schnelligkeit grundsätzlich positiv bewertet. Schließlich wird das selbst gewählte Tempo als Normalität angesehen und man gewöhnt sich an zu hohe Geschwindigkeiten. Es müsste also mehr kontrolliert und Vergehen stärker geahndet werden. Das neue Punktesystem ist ein Schritt in diese Richtung. Mehr Kontrollen müssten folgen.