Cranz/Neuenfelde. Die Sedimentierung in der Este und im Mühlenberger Loch stellt ein Problem für das Alte Land dar

Das Wasser läuft schon seit eineinhalb Stunden wieder auf. In der Flussmitte der Este sieht man es: Die graue Flut fließt schnell stromaufwärts. Das Wasser ist von Schlieren durchzogen. Hier schwimmt Schlick mit. Nachher bei Stauwasser, wenn Flusströmung und Gezeitenstrom sich gegenseitig aufheben wird sich der Schlick setzen. Das ablaufende Wasser wird ihn nicht wieder mitnehmen: Es fließt langsamer, als der Flutstrom. „Tidal Pumping“ nennt sich dieser Effekt.

Was er bewirkt, sieht man zum Beispiel im Neuenfelder Yachthafen: Ein gutes Dutzend Boote liegt hier. Nicht etwa im Wasser, sondern auf Schlick. „Wir haben etwa eine bis eineinhalb Stunden vor und nach Hochwasser ein Zeitfenster, in dem unsere Boote schwimmen“, sagt Segler Sven Struck.

Er will mit der Flut am nächsten Morgen auslaufen: Urlaub auf den Inseln der Niederelbe. Strucks persönliches Zeitfenster ist dabei besonders eng. Sein Jollenkreuzer liegt nicht in der Mitte des Hafens, sondern am höher gelegenen Rand. „Wir spülen regelmäßig, aber erstens ist das eine Sisyphusarbeit und zweitens bekommen wir damit auch immer nur die Mitte frei.“

Über den Yachthafen entwässert auch die Liedenkummer Wettern in die Este. Sie und das Nincoper Schleusenfleth sind die zwei Abflüsse des Wettern- und Grabensystems des Hamburger Alten Landes in die Este. Der Schlick stellt auch hier ein Problem dar: Wassser, das aus dem System gelassen wird, müsste quasi über den Berg laufen.

Am gegenüberliegenden Ufer kommt ein großes Rohr aus der Böschung. Hier läuft das Oberflächenwasser der Straße Estebogen in Cranz in die Este. Vor dem Rohr hat sich das Sielwasser einen Trichter in den Schlick gespült. Aber es ist auch schon vorgekommen, dass sich Schlick im Rohr ablagerte. „Wir haben im Frühjahr eine leichte Verschlickung an dem Abfluss festgestellt“, sagt Ole Brauckmann, Pressesprecher von Hamburg Wasser. „Die akute Gefahr der Verstopfung bestand noch nicht, aber wir haben trotzdem vorsichtshalber gespült.“

Der Schlick in der Este kommt aus der Elbe – und er macht den Altländern nicht nur an der Este Kopfzerbrechen. Am Schöpfwerk Neuenfelder Hafen, direkt an der Elbe, steht Karl Tamke und blickt auf das Watt vor dem Deich. Fast einen Meter über Normalnull liegt der Schlick am Pegel. Jedes Jahr kommen zehn Zentimeter hinzu. „Unsere Vorfahren hätten jetzt schon Sommerdeiche gezogen, um das Land zu gewinnen“, sagt er.

Karl Tamke ist Vorsteher der Wasserverbände im Hamburger Alten Land. Der Obstbauer im Ruhestand und Gärtnermeister in Rente hat früher für Strom- und Hafenbau die Vordeichflächen gepflegt. „Diese Pionierhölzer, die hier jetzt wachsen, habe ich teilweise noch gepflanzt“, sagt er.

In seiner neuen Funktion als Wasserverbandsvorsteher muss Tamke so etwas, wie einen vierbeinigen Spagat hinbekommen: „Der Schlick hier im Mühlenberger Loch verhindert, dass das Wasser ordentlich abfließen kann“, sagt er. „Andererseits hat sich hier eine große Artenvielfalt gebildet, die es zu schützen gilt. Dazu kommt, dass wir ja nicht nur entwässern, sondern auch bewässern müssen, und dann holen wir uns die Sedimente in die Gräben. Rund um die Pumpen, mit denen die Obstbauern Wasser aus den Wettern nehmen haben wir schon gebaggert, damit die Geräte nicht kaputt gehen.“

Auch vor dem Schöpfwerk lässt Tamke einmal im Jahr Schlick abtragen, aber es nützt nicht viel: Drei Monate nach der letzten Maßnahme und zwei Stunden nach Niedrigwasser ist vor dem Schöpfwerk nur ein kleiner Entenpriel voll Wasser.

Tamke befürchtet, dass sich der Effekt des „Tidal Pumping“ durch die geplante Fahrinnenanpassung in der Elbe noch verstärkt. Und er fürchtet die immer häufiger werdenden Starkregen: „Über das Alte Land entwässern wir ja auch Neu Wulmstorf und Teile Harburgs. Da wird immer mehr versiegelt und immer weniger versickert. Gleichzeitig wächst der Schlick. Irgendwann stehen unsere Felder unter Wasser.“