Berlin.

71 Plastiktüten verbraucht jeder Deutsche jedes Jahr. Bis Ende 2025 sollen es nach Willen der Europäischen Union nur noch 40 sein. Seit Anfang Juli gilt deshalb in Deutschland eine freiwillige Selbstverpflichtung des Handels. Darin verständigten sich der Handelsverband Deutschland (HDE) und seine Mitglieder mit dem Bundesumweltministerium (BMUB) darauf, die Tüten nicht mehr umsonst abzugeben und „den Kundenservice Tragetasche umweltverträglicher zu gestalten“. Doch was ist umweltfreundlicher?

Sind Plastiktüten wirklich
ein Problem?

Laut einer Studie der Gesellschaft für Verpackungsmarkforschung (GVM) im Auftrag des HDE und weiterer Industrieverbände ist die große Aufmerksamkeit der EU für Plastiktüten auf die Umweltverschmutzung in anderen europäischen Ländern zurückzuführen. In Deutschland machten die Tüten nur acht Prozent am Verbrauch von flexiblen Kunststoffverpackungen aus. Der Studie lagen Daten aus dem Jahr 2012 zugrunde. Über das gesamte Jahr wurden demnach 6,1 Milliarden Tüten ausgegeben, davon konnten knapp 52 Prozent nicht wiederverwendet werden.

In Deutschland würden Verbraucher verantwortlich mit den Tüten umgehen und sie häufig mehrfach verwenden, so die Studie. Dennoch landet laut Verbraucherzentralen hierzulande jede zehnte Plastiktüte – aktuell also über 500 Millionen – nicht in der gelben Tonne, sondern in Wäldern, Flüssen und Seen, wo das Plastik in die Nahrungskette gelangt und Meerestieren schadet. Inwieweit Abbauprodukte der Tüten ins Wasser übergehen und die Gesundheit gefährden, wird noch untersucht.

Wie ist ihre Umweltbilanz?

Die Umweltschädlichkeit verschiedener Tütenformen zu errechnen, ist komplex. Dazu gehören nicht nur die Entsorgung, sondern auch etwa die Art der Rohstoffe, Chemikalieneinsatz und Transport. Andreas Detzel vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg hat eine solche Berechnung für verschiedene Tütentypen erstellt. „Es handelt sich quasi um eine Bierdeckelrechnung. Viele Aspekte sind nicht enthalten, das wäre sehr aufwendig“, erklärt der Wissenschaftler, „aber eine umfassende, unabhängige Klimabilanz für Einkaufstüten gibt es für Deutschland bisher nicht – weder von der Regierung noch von Umweltorganisationen“. In seiner Berechnung schneidet die Plastiktüte nicht in allen Punkten am schlechtesten ab. So verbrauche sie in der Herstellung wohl weniger Ressourcen als etwa Baumwolltaschen, für die viel Wasser und Anbaufläche nötig sind. „Wenn sie mehrfach verwendet wird, ist die Bilanz der Plastiktüte gar nicht so schlecht“, so der Umweltforscher. Ihr Problem: Sie baut sich nur schwer ab. Mikroorganismen können Kunststoff anders als Papier und Stoff nicht vollständig zersetzen, er zerfällt lediglich in immer kleinere Teile. Eine Plastikflasche braucht nach Schätzungen des Umweltbundesamtes (UBA) bis zu 450 Jahre, um in der Umwelt abgebaut zu werden, eine Plastiktüte rund 20.

Zudem werden die Tüten aus einer endlichen Ressource hergestellt: „Der Rohölverbrauch für die in Deutschland verbrauchten Plastiktüten liegt bei circa 370.000 Tonnen pro Jahr“, sagt Tobias Quast, Projektmanager Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH), „Einwegtüten aus Polyethylen sind keine ökologisch verträglichen Tragetaschen.“

Welche Tüten sind
betroffen?

Die europäische Plastiktüten-Richtlinie bezieht sich auf Plastiktüten mit einer Wandstärke von weniger als 50 Mikrometern. Da es jedem Land freisteht, wie es die Richtlinie der EU umsetzt, beinhaltet die Vereinbarung zwischen HDE und BMUB auch dickwandigere Plastiktüten. Für die sogenannten Hemdchenbeutel, die meist in der Obstabteilung hängen, soll es Ausnahmeregelungen geben. „Schlupflöcher“, wie Umweltschützer kritisieren. Allerdings sind „Hemdchenbeutel in der Herstellung weniger aufwendig“, so Quast. Zudem sei die Alternative, dass Obst und Gemüse mit noch mehr Plastik einzeln verpackt würde. Bei der jetzigen Regel hätten Verbraucher immerhin die Wahl, freiwillig auf die Beutel zu verzichten. Im Jahr 2012 verbrauchten Einkäufer 3,1 Milliarden der Beutel.


Wie schneiden Stoffbeutel
und Papiertüte ab?

Beide Taschenformen gelten vielen als umweltfreundlichste Lösungen. Das stimmt jedoch nicht uneingeschränkt. So seien die Rohstoffherkunft sowie die Herstellungsbedingungen von Baumwolltaschen oft relativ unübersichtlich, erklärt Andreas Detzel. In seinen Berechnungen geht er davon aus, dass die meisten Taschen in Asien hergestellt werden und weite Lieferwege zurücklegen. Zudem werden „bei der Produktion Pestizide ausgetragen, die Taschen werden gefärbt, teils mit Chemikalien behandelt, sie müssen gewaschen werden und es wird bislang kaum recyceltes Material für die Herstellung verwendet“, so Detzel. „So ein Beutel muss bis zu 32 Mal verwendet werden, bevor der Herstellungsaufwand ausgeglichen ist“, bestätigt Quast. Sie hätten aber auch eine entsprechend höhere Lebensdauer und Verbraucher könnten zu Bio-Baumwollbeuteln greifen, für deren Rohstoff keine Pestizide eingesetzt werden. Auch Papiertüten sind im Hinblick auf Umweltschutz nicht ideal. „Bei einem Gewicht von 60 Gramm werden für eine einzige Tüte 3 Liter Wasser und 132 Gramm Holz benötigt. Dabei wird bis zu 90 Gramm CO2 ausgestoßen“, erklärt Quast, „erst nach viermaliger Wiederverwendung lohnt sich diese ressourcenintensive Herstellung.“ Zudem sei das Recycling schwierig, denn die Papierfasern verkürzen sich bei jedem neuen Einsatz. Auch könnten aus Altpapier mineralölhaltige Rückstände und Chemikalien aus Druckfarben auf Lebensmittel übergehen. Einen unschlagbaren Vorteil hätten jedoch sowohl Baumwollbeutel als auch Papiertüte: Sie bauen sich schneller ab als Plastik und zerfallen in ihre natürlichen Bestandteile, die die Umwelt nicht belasten.