Harburg.

Der urbane Hipster findet Autofahrer wie mich ja politisch inkorrekt. Der Schienenersatzverkehr auf der S-Bahnlinie 3 zwischen Wilhelmsburg und Hammerbrook bietet dem Avantgardisten jetzt mehr als drei Wochen lang die Gelegenheit, seine Überzeugung einem Stresstest zu unterziehen. Ich habe mich am Tag eins des eingeschränkten Bahnverkehrs mit S-Bahn und Bus morgens auf den Weg von Harburg zum Hauptbahnhof gemacht. Am Ende bleibt die Erkenntnis: Hätte ich doch bloß mein Auto genommen!

Die Fahrt fängt schon schlecht an: Die Scanner an den Fahrkartenautomaten erkennen meine rote HVV-Plastikkarte nicht. Damit bezahlen Ab-und-zu-Bahnfahrer wie ich bargeldlos ihr Ticket. Zum Glück habe ich zehn Euro in der Tasche – sonst hätte mir die S-Bahn vor der Nase wegfahren können.

„Fährt nicht weiter?“ fragt eine Asiatin mit Kinderwagen auf dem Bahnsteig der S-Bahnstation Harburg Rathaus einen DB-Bediensteten. Offenbar geht die Frau davon aus, hier in den Bus umsteigen zu müssen. „Doch, bis Wilhelmsburg“, erklärt der Bahnmitarbeiter. Sie steigt in die S-Bahn. Ich auch. Um 7.29 Uhr nimmt die S-Bahn 31 die Fahrt auf. Wie immer um diese Uhrzeit, müssen viele Fahrgäste stehen.

Eine Station später, am Bahnhof Harburg, verlassen etwa drei von vier Fahrgästen meinen Waggon. Wie auf der Flucht, denke ich. Vermutlich wollen die meisten von ihnen in den Regionalzug Metronom umsteigen, um dem Umsteigen in Busse auszuweichen. Ich aber bleibe.

Eine Herde Menschen stürmt in Wilhelmsburg die Treppe hinauf. Über die Muharrem-Acar-Brücke geht es zur Haltestelle Inselpark. Mitarbeiter in neongelben Warnwesten und Schilder mit roten Pfeilen weisen den Weg zu den Ersatzbussen. Verfehlen kann die Busse so niemand. Verpassen schon. Wegen der vielen Fahrgäste komme ich in den wartenden Bus nicht hinein. Drei Minuten später rollt schon der nächste Bus vor – alles gut.

Wie in der berüchtigten Sardinenbüchse stehen und sitzen wir auf engstem Raum gequetscht. Im Kollektiv mit verschlafenem Gesichtsausdruck – wie in der Geisterbahn. Nur die resolute Busfahrerin macht Stimmung: „Wir sind Landeier, und dann schicken die uns nach Hamburg: Fahrt’ mal!“, ruft sie dem neben ihr stehenden Fahrzeug zu. Ob sie den Weg findet?

„Jeder Gang macht schlank“, nimmt der Reisende neben der Busfahrerin das Umsteigen locker. „Fahren Sie mal, und ich laufe ein bisschen“, antwortet sie.

An der S-Bahnstation Veddel hält der Bus. Noch mehr Sardinen quetschen sich hinein „Bitte aus den Türen raus. Sonst stehen wir noch morgen hier“, stellt die Fahrerin die Ordnung wieder her. Fahrkarten verkauft sie übrigens nicht. Die Ersatzbusse sind ohne Kasse unterwegs.

Der Bus erreicht Hammerbrook. Die Herde stürmt wieder ein Treppe hinauf. Die S-Bahn wartet schon. Um 8.12 Uhr stehe ich im Hauptbahnhof. 14 Minuten dauert normalerweise die S-Bahnfahrt auf der Strecke.

Mit Schienenersatzverkehr benötige ich 33 Minuten. „Nervig“ ist das meistgebrauchte Wort unter den Reisenden. Das ist nachvollziehbar: Wer bis zum 14. August jeden Werktag mit der S-Bahn von Harburg ins Büro in der Hamburger City und zurück fährt, verbringt zusätzlich 11,3 Stunden in Bus und Bahn.