Wilhelmsburg. Bei Slamville erzählen Wettkampfdichter und Singer-Songwriter ihre Geschichten.

Poetry Slam ist heute ein Massenphänomen. In nicht einmal zwei Jahrzehnten hat sich das Literaturformat Dichterwettstreit aus der Subkultur in das kulturelle Establishment katapultiert. Nur verbohrte Miesmacher, die sich ihres Nerdseins beraubt fühlen, sollten sich daran stören. Denn welche Entwicklung macht in Zeiten rudimentärer Tweet-Kommunikation mehr Hoffnung als Geschichtenerzähler, denen viele Menschen zu hören?

Seinem Selbstverständnis nach sieht sich das Dockville Festival als Trendsetter. Eigentlich überraschend spät widmet es in diesem Jahr dem popkulturellen Literaturformat mit Slamville eine eigene Tochter und bringt sprechende und singende Geschichtenerzähler zusammen.

Ihrem Mut zur Selbstinszenierung verdanken die Wettkampfdichter ihre rasch gewonnene Popularität. Ironie und Wortwitz sind ihre schärfsten Waffen. Establishmensch nennt der Wortakrobat Andy Strauß seine Homepage – um sich als nichtelitäres Sprachrohr zu positionieren.

Mit der gewonnenen Popularität hat sich mittlerweile in der Poetry-Slam-Szene ein Establishment herauskristallisiert – Andy Strauß gehört zweifellos dazu. Das Attribut „durchgeknallt“ ist sein Markenzeichen. Der Ostfriese erzählt von dem Sinn eines Tropfens Olivenöl in seinem achtfachen Espresso. Das Öl, erklärt er, schütze das Heißgetränk vor der Asche seiner Zigarette. Wenn das nicht tiefsinnig ist.

Wer solche Geschichten erfindet, wirkt verrückt. Sein wilder Bartwuchs und der extrem schnelle Sprechstil unterstützen das. Andy Strauß ist eine Rampensau. Er will unterhalten – und gibt dafür auf der Bühne alles.

Subtiler gibt sich Michel Abdollahi. Im Gewand des Establishments kommt der Islamwissenschaftler in Hemd und Krawatte daher, um zu provozieren. „Ich bin Muslim. Was wollen Sie wissen?“, steht auf einem Schild, mit dem er in der Hamburger Innenstadt das Gespräch sucht. Mit der Masche hat es der Künstler und Journalist zum Reporter für kulturelle Kuriositäten beim NDR geschafft – und damit ins mediale Establishment.

Singer-Songwriter wie Antje Schomacker oder Jonas David genießen weniger Aufmerksamkeit. Dabei haben ihre Geschichten nicht selten mehr Poesie als die der Wettkampfpoeten. Bei Slamville haben sie alle ihre Bühne – schön so!

Sonnabend, 23. Juli, 14 Uhr, Dockville-Gelände in Wilhelmsburg, Reiherstieg Hauptdeich/Alte Schleue, Eintritt: 25 Euro