Bochum. Täter hatten Sprengsatz in einer Filiale gezündet und eine Million Euro gefordert – Haftbefehl

Das Rätsel um die Explosion einer Rohrbombe in einem Hertener Lidl-Markt ist gelöst. Das Amtsgericht Bochum hat gestern Haftbefehl gegen ein Pärchen aus Gelsenkirchen erlassen, das den Konzern aus Neckarsulm um eine Million Euro erpresst haben soll. Als der Sprengsatz am 15. April 2016 um neun Uhr morgens in einem Papierkorb an der Leergutannahme in dem Markt am Rande der Hertener Innenstadt detonierte, wurde eine 37-jährige Mitarbeiterin durch herumfliegende Metallteile leicht verletzt. Sie musste ambulant in einem Krankenhaus behandelt werden.

Der Traum von einem Haus in Spanien soll das Motiv des geständigen Pärchens gewesen sein. Mit dem erpressten Geld hatten sie ihre Wohnung in Gelsenkirchen, die Ermittler als vermüllt beschrieben, spätestens im September verlassen wollen.

Haftbefehl lautet auf versuchten Mord

Dafür wären sie auch über Leichen gegangen, ist sich die Polizei sicher. Denn als Rüdiger D. (48) und Liana D. (54) die mit Schwarzpulver gefüllte Rohrbombe während der Geschäftszeit zündeten, hatten sie keinen Blickkontakt zum Papierkorb neben der Pfandrückgabe. Weil sie verheerende Folgen billigend in Kauf genommen haben sollen, lautet der Haftbefehl gegen sie nicht nur auf schwere räuberische Erpressung, sondern auch auf versuchten Mord. Gleich vier Mordmerkmale haben sie laut Haftbefehl erfüllt: „Heimtücke, Habgier, Tötungsversuch mit gemeingefährlichen Mitteln und zur Ermöglichung einer Straftat.“

Denn die Explosion war der Auftakt zur Erpressung. Professionell hatten sie die Rohrbombe über ein Handy gezündet. Drei Tage später schickten sie Lidl, Abteilung Dienstleistung, eine E-Mail, in der sie die Verantwortung übernahmen. Falls das Unternehmen nicht binnen einem Monat eine Million Euro zahle, explodierten weitere Sprengsätze, drohten sie. Falls Lidl nicht zahlen wolle, erhöhe sich die Summe auf zwei Millionen Euro.

Für die Geldübergabe wählte das Pärchen einen ungewöhnlichen Weg, eine Art Erpressung am Geldautomaten. Unter falschen Personalien hatte es drei Prepaid-Kreditkarten erworben, die nur Geld freigeben, das vorher aufs Konto eingezahlt wurde. Allerdings lassen sich so mit jeder Karte nur je bis zu 320 Euro täglich an Geldautomaten weltweit abholen.

Getarnt mit Hut und Sonnenbrille

Lidl sollte aber auch nicht sofort die komplette Summe überweisen, sondern monatlich je 3000 Euro auf die drei Konten der Kreditkarten. Der Konzern ging zum Schein auf die Forderung ein und zahlte. Das Landeskriminalamt und die Kripo Recklinghausen ermittelten da aber bereits. Schnell kamen die Behörden den Erpressern auf die Spur und filmten ihre Auftritte an Geldautomaten in Bochum, Herne und Gelsenkirchen, wo sie 1200 Euro abhoben, bevor man sie festnahm. Als am 2. Juni das Konto noch nicht freigeschaltet war, drohten die Erpresser per E-Mail eine weitere Explosion an.

Mit Ermittlungen der Polizei hatten sie offenbar gerechnet. Den E-Mail-Verkehr führten sie nur unter konspirativ angemeldeten E-Mail-Adressen durch, an den Geldautomaten tarnten sie sich mit Hut, Sonnenbrille und Gesichtsmaske.

Jetzt sitzen sie in U-Haft, haben Geständnisse abgelegt. Volker Schröder, Verteidiger von Liana D., sagte dieser Redaktion: „Meine Mandantin war sich der Schwere dieser Tat nicht bewusst, glaube ich.“ Die Mindeststrafe allein für eine schwere räuberische Erpressung liegt bei fünf Jahren Haft. Hinweise gibt es, dass das Pärchen bereits 2012 und 2013 den Lidl-Konzern erpresst hatte. Schröder: „Dazu hat es sich zunächst nicht geäußert.“