Terroristen, Islamisten und Egomanen wie Erdogan und Putin machen vielen Angst. Doch die Flucht nach Früher ist trügerisch

Es ist ein knappes Vierteljahrhundert her, dass der prominente US-Politologe Francis Fukuyama mittels einer modernen Variante der hegelschen Dialektik kurzerhand das „Ende der Geschichte“ erklärte, da es nach der Implosion des sowjetischen Imperiums keine totalitäre Alternative zur liberalen Demokratie mehr gebe.

In der Rückschau wirkt diese Analyse geradezu rührend naiv. Nicht nur der militante Islamismus hat sich weltweit als rabiater Gegenpol etabliert; auch besitzen autoritäre Regime wie in Russland, der Türkei oder in China eine beunruhigende Strahlkraft. Die Hoffnung auf eine friedliche Welt ist unter dem Ansturm der Krisen und Konflikte zerstoben. Die Welt scheint aus den Fugen.

Was ist passiert? Zum einen hat die Revolution ihre Kinder gefressen. Ausgerechnet der auf Pluralismus und hohe soziale Standards ausgerichtete Westen hat mit der technologischen Umwälzung und der gnadenlosen Globalisierung der Wirtschafts- und Finanzsysteme Milliarden Verlierer geschaffen. Die Technologie schreitet mit Siebenmeilenstiefeln voran und verlangt permanente Anpassung vom Menschen. Doch viele bleiben überfordert und ratlos am Wegrand zurück. Die wirtschaftlichen Krisen schüren Ängste und lassen unbewältigte Konflikte blutig aufbrechen. Wie in den USA, wo der sich ständig weitende Riss zwischen Arm und Reich auch den Rassengegensatz neu befeuert. Es sind Kriege, nicht zuletzt aber auch wirtschaftliche Nöte, die Millionen Menschen entwurzeln und zur Flucht aus ihrer Heimat veranlassen.

Es ist nicht verwunderlich, dass sich orientierungslose Menschen in aller Welt nach scheinbar goldenen Zeiten zurücksehnen. Es ist ein geistiges Cocooning, das die Vergangenheit verklärt und die Menschen in gefährlicher Weise von der Herausforderung der Realität abschirmt. Wir sehen es bei den Salafisten, die sich die Frühzeit des Islam zurückwünschen, anstatt überfällige Reformen anzustoßen. Die so verklärte Epoche Mohammeds und seiner ersten Nachfolger war übrigen keineswegs von Frieden und Prosperität bestimmt, sondern von blutigen Wirren und Kämpfen. Oder bei den US-Republikanern, die sich nach dem Wertesystem eines gründerzeitlichen Amerika zurücksehnen, das es so nie gegeben hat. Bei den Erdogan-Anhängern, die die despotischen osmanischen Zeiten glorifizieren. Oder den Putinisten, die sich die machtvolle Ära der Zaren und Sowjetherrscher zurückwünschen, die doch in Wahrheit von brutaler Repression und sozialem Elend gekennzeichnet war. Es ist eine Flucht in Illusionen.

In der Neuen Unordnung haben trügerisch schlichte Lösungen, dreiste Lügen und unerfüllbare Heilsversprechen Hochkonjunktur, wie der Brexit, die schleichende Erosion der EU aufgrund virulenter Nationalismen oder der Erfolg des irrlichternden Egomanen Donald Trump in den USA zeigen.

Zudem liegt ein wesentlicher Grund für die globale Unsicherheit im Ausfall der USA als Ordnungsmacht. Die maßlose Überheblichkeit des Siegers im Kalten Krieg führte unter anderem zum Irakfeldzug mit all seinen desaströsen Folgen, darunter der Zerfall Iraks und der Aufstieg des „Islamischen Staates“, und auch zur Entfremdung von Russland, das sich nun als Angstbeißer gebärdet und Rache für tatsächliche oder eingebildete Demütigungen nimmt. Amerika ist nach dem auf Lügen basierenden Irak-Krieg, nach den Folterskandalen in Abu Ghraib und Guantánamo, nach der Finanzkrise und angesichts der NSA-Abhörskandale als Orientierung gebendes Leuchtfeuer ausgefallen. Die Supermacht muss sich neu sortieren. Dies bürdet der EU die Last des Vorbildes auf. Wir haben kaum eine andere Wahl, als dieser Verantwortung gerecht zu werden.

Überhaupt täuscht der Eindruck, die Welt sei aus den Fugen geraten. Sie ist beileibe kein Paradies, doch insgesamt sinken Armut, Unterernährung und Kindersterblichkeit, steigen Lebenserwartung und Bildungsstand. Und trotz der Terrorwelle sinkt die Zahl der Gewaltopfer beständig. Wer sich aber nach einer friedlicheren und besseren Welt sehnt, der findet sie jedenfalls nicht in der Vergangenheit.