Berlin.

Sie werden rot und dick, zuweilen sitzt weißlicher Eiter darauf: entzündete Mandeln sind eine Qual, die oft wiederkehrt. Diese Erkrankung gehört laut der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie (DGHNOKHC) zu den 20 häufigsten stationär behandelten bei Kindern und Jugendlichen.

Eine neue Leitlinie wurde jetzt vorgestellt, die das Ziel hat, Diagnose und Therapie zu vereinheitlichen. Sie besagt, dass nicht jede Entzündung sofort operiert oder mit Antibiotika behandelt werden muss. Die wichtigsten Fragen zum Thema im Überblick.

Was verursacht Mandelentzündungen?

Für den Körper ist es eine normale Abwehrreaktion, wenn die Mandeln dick werden, denn diese gehören zum Immunsystem. Deshalb erkrankt jedes Kind im Verlauf der ersten Lebensjahre mehrfach an einer sogenannten Tonsillitis. „Der Sinn der Mandel ist es, sich zu entzünden. Sie ist ein immunologisch aktives Organ am Eingang zum Schlund mit einer großen Oberfläche. Dadurch nimmt der Körper Kontakt mit Dingen auf, die wir einatmen oder essen“, erklärt Professor Werner Hosemann, Direktor der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten am Universitätsklinikum Greifswald.

Viren oder Bakterien im Mund- und Rachenraum können an der Entstehung einer Angina und einer darauf folgenden Mandelentzündung schuld sein. Das sagt Professor Jochen Windfuhr, Chefarzt am Klinikum Maria Hilf in Mönchengladbach, der als Vertreter der DGHNOKHC eine neue Leitlinie zur Behandlung mitentwickelt hat.

Wer ist besonders häufig davon betroffen?

Vor allem Kinder bis zum fünften Lebensjahr leiden laut dem HNO-Experten Windfuhr an akuten Mandelentzündungen. „In dieser Zeit setzt sich der Organismus mithilfe der Mandeln besonders mit den für ihn neuen Umwelteinflüssen auseinander“, sagt sein Greifswalder Kollege Professor Hosemann. In den darauffolgenden Jahren nimmt die Häufigkeit der Krankheit ab, um ab dem 15. Lebensjahr wieder vermehrt aufzutreten. „Zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr bilden sich dann eher Abszesse an den Mandeln“, sagt Windfuhr.

Wie stellen Ärzte die Erkrankung fest?

Die neue Leitlinie zur Behandlung hält fest: Es reicht nicht, dass der Arzt in den Rachen blickt. Sie stellt zwei altersabhängige Punktesysteme zur Bewertung der Entzündung vor. Dabei geht es nicht nur darum, dass die Mandeln dick sind, sondern auch um die Schwellung der Lymphknoten am Hals sowie um Fieber und Husten als Begleiterscheinungen. Je nach Symptom werden Punkte vergeben. „Auf diese Weise lässt sich die Wahrscheinlich besser abschätzen, ob es sich um eine Virusinfektion handelt oder ob Bakterien verantwortlich sind – danach richtet sich die Behandlung“, sagt Experte Jochen Windfuhr.

Hat ein Kind, das noch keine 15 Jahre alt ist, beispielsweise neben der Mandelentzündung eine erhöhte Temperatur und geschwollene Lymphknoten am Hals, hustet jedoch nicht, so spricht dies nach Windfuhrs Worten für eine bakterielle Erkrankung. Bei Husten und fehlenden Lymphknotenschwellungen wird dagegen eine Virusinfektion wahrscheinlicher. Weitere Untersuchungen wie ein Abstrich oder Blut-/Urinanalysen sind laut Windfuhr nur in seltenen Fällen erforderlich, um Klarheit zu schaffen.

Welche Möglichkeiten der Behandlung gibt es?

Während Penizilline in unterschiedlichen Dosierungen bei einer bakteriellen Infektion helfen können, bleiben sie bei einer Virusinfektion wirkungslos. Windfuhr: „Diese kann man nur auskurieren, indem man im Bett bleibt und eventuell Medikamente gegen Fieber oder Schmerzen nimmt.“

Kehrt die Mandelentzündung regelmäßig wieder, so war eine Entfernung der Organe bis vor Kurzem das Mittel der Wahl. Doch davon nehmen spezialisierte Mediziner inzwischen Abstand – vor allem, nachdem die Bertelsmann Stiftung auf eine regional ungleiche Verteilung der Häufigkeit von Mandeloperationen und der Antibiotika-Verordnungen hingewiesen hat. „Zweimal in einem Jahr eine Halsentzündung – hier lohnt es sich, den weiteren Verlauf zu beobachten, denn vielfach verschwindet das Krankheitsbild von alleine, ohne dass operiert werden muss“, sagt HNO-Chefarzt Windfuhr. Erst bei mehr als drei solcher Episoden innerhalb eines Jahres solle eine Operation überlegt werden. Ein wichtiger Grund ist das Risiko von Nachblutungen. „Der Eingriff ist keine Bagatelle, solche Blutungen können im Einzelfall lebensgefährlich sein“, so der Experte.

Er muss Patienten zudem häufig erklären, dass eine Virusinfektion die gesamte Rachenschleimhaut betreffen kann – eine Entfernung der Mandeln helfe in solchen Fällen wenig. Professor Hosemann findet es indes unpraktisch, erst einmal drei eindeutige bakterielle Mandelentzündungen in einem Jahr mit jeweils nötiger Antibiotikatherapie abzuwarten, bis eine Mandelentfernung diskutiert werden kann. „Man sollte mit den Patienten bzw. Eltern von Fall zu Fall beraten und entscheiden, wann man den Weg der OP wählt“, sagt der Klinikdirektor aus Greifswald.

Kann man die Mandeln auch nur teilweise entfernen?

„Früher haben wir befürchtet, dass wir Entzündungen in der vernarbten Resttonsille Vorschub leisten, wenn wir die Mandeln nur teilweise entfernen. Doch diese Sorgen waren unbegründet“, erläutert Hosemann.

Bei Untersuchungen in Amerika und Schweden zeigte sich, dass ein solcher Eingriff auch Kindern half, die aufgrund zu großer Mandeln Atemprobleme hatten. „Die Patienten bluten nicht so häufig nach und die Schmerzintensität ist viel geringer im Vergleich zur vollständigen Mandelentfernung“, schildert Jochen Windfuhr die Erkenntnisse. „Deshalb haben wir die Teilentfernung neu als Option in die Leitlinie aufgenommen.“