Europa mangelt es an europäischem Geist. Das zeigt nicht nur der Brexit, sondern auch Jean-Claude Juncker

Über das europäische Haus ist in diesen Tagen wieder viel lamentiert worden, über brüchige Fundamente, über Risse und Erschütterungen. Leider ist kaum über den Hausmeister geschrieben worden, der sicher nicht für alle Baumängel verantwortlich ist, aber doch viel Verantwortung trägt für das ramponierten Äußere. Reden wir also über Jean-Claude Juncker.

Der Kommissionschef hat sich diese Woche gleich dreifach einen Verriss in dieser Kolumne verdient. Nach dem Brexit, der halb Europa in Schockstarre versetzt hat, benötigte Juncker nicht lange, um als Konsequenz die „Vollendung“ der Währungsunion zu fordern. Statt innezuhalten und sich ein paar selbstkritische Fragen zu stellen, flüchtet der Luxemburger auf die Dachterrasse des Elfenbeinturms. Selbst die „FAZ“ fand das ganz unfazlich unfasslich: „Jean-Claude Juncker hat, mit Verlaub, den Schuss nicht gehört.“

Es scheint, als sei zumindest beim Kommissionschef so gar nichts vom Unbehagen der EU-Bürger angekommen. Nicht einmal eine Woche nach dem Misstrauensvotum der Briten schlug Juncker vor, das umstrittene Handelsabkommen Ceta an den nationalen Parlamenten vorbeizuschleusen. In der Sache mag er damit sogar recht haben, in der Strategie aber kann er ungeschickter kaum agieren. Auch wenn vieles der Kritik am Handelsabkommen irrational klingt, grassiert in Europa neben dem Unmut über die Flüchtlingsströme die Wut über Ceta und TTIP. Die Geheimverhandlungen über den Freihandel entfachen das Misstrauen, sie befeuern Verschwörungstheorien.

Doch was sagt Juncker? Ihm ist die Beteiligung der nationalen Parlamente „schnurzegal“. Mit diesem Gespür für den Wähler würde jeder Lokalpolitiker zwischen Lappland und Lampedusa vom Hof gejagt. In Europa wird man damit Chef.

Juncker hat sich seine Position ersessen, die konservativen Parteien Europas haben ihn – übrigens mit Unterstützung Merkels und gegen den erbitterten Widerstand von David Cameron – gekürt. Der langjährige Luxemburger Ministerpräsident galt als perfekter Kompromisskandidat für Frankreich und Deutschland. Zudem galt das kleine Land an der Mosel als besonders europabegeistert.

Inzwischen sieht man diese Begeisterung auch in einem anderen Licht. Denn Luxemburg ist Drehscheibe, Förderer und Profiteur der internationalen Finanzindustrie. Der Spontispruch „legal, illegal, scheißegal“ könnte aus dem Lëtzebuergesch stammen.

In dieser Woche wurden in Luxemburg zwei Ex-Mitarbeiter von PriceWaterhouseCoopers zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Ihr Verbrechen: Sie hatten offengelegt, mit welchen schmutzigen Deals ihr Beratungsunternehmen und die sauberen Luxemburger Steuerbehörden zwischen 2002 und 2010 Großkonzernen wie Amazon, E.on, Ikea oder Apple beim Steuervermeiden auf Kosten der Nachbarländer und EU-Partner halfen. Und nun raten wir mal, wer zwischen 1989 und 2009 Finanzminister und zwischen 1995 und 2013 Premier Luxemburgs war: der Super-Europäer Jean-Claude Juncker. 2008 setzte die OECD sein Land zwischenzeitlich gar auf die graue Liste der Steueroasen. Der damalige SPD-Chef Franz Müntefering vergriff sich daraufhin im Ton und verwünschte Luxemburg als Steuerparadies, in das man früher Soldaten geschickt hätte. Inzwischen ermitteln die EU, aber auch zahlreiche deutsche Finanzämter in verschiedensten Fällen wegen Steuerhinterziehung über Luxemburg. Ein Ersuchen um Amtshilfe lehnten die Behörden dort übrigens ab.

„Extra 3“-Moderator Christian Ehring charakterisierte das „nette kleine“ Luxemburg so: „Uli Hoeneß als Land“. Das ist natürlich gemein. Es mutet aber seltsam an, dass Steueroptimierer in Deutschland im Knast und in Europa an der Spitze der Kommission landen.

Und noch seltsamer ist, dass die Politik in der EU sich weiterhin von Jean-Claude Juncker vertreten fühlt. Bei dieser Fülle an Skandalen und Skandälchen würde jeder Hausmeister einer Dorfschule abberufen.