Düsseldorf.

Sonntagmorgen war der Albtraum von Monika und Bernd S. ausgestanden. Nach gut einer Woche, in der sie sich „quasi nur von Kaffee und Zigaretten“ ernährten, die schlimmsten Ängste, die Eltern nur haben können, ausgestanden hatten, konnten sie ihren Sohn Paul (12) wieder in die Arme schließen.

Acht Tage nach dem Verschwinden des Jungen in der Schweiz hat die Polizei das Kind im Dachstuhl einer Wohnung in Düsseldorf gefunden und einen 35 Jahre alten Mann festgenommen. Ein Spezialeinsatzkommando stürmte die Wohnung des Mannes in der Nacht zu Sonntag und fand den vermissten Jungen in äußerlich wohlbehaltenem Zustand, wie die Polizei mitteilte. Der 35-jährige Mann mit deutscher Staatsangehörigkeit stehe im Verdacht, maßgeblich für das Verschwinden des Kindes aus dem kleinen Ort Gunzgen, etwa 50 Kilometer südöstlich von Basel, verantwortlich zu sein. Das SEK war auf Ersuchen der Schweizer Behörden tätig geworden. Diese waren nach intensiven Ermittlungen auf die Wohnung im Stadtteil Düsseldorf-Hassels gestoßen.

Laut Polizei leistete der Mann keinen Widerstand. Ein Sprecher wollte keine weiteren Angaben zu der Straftat machen. Die Schweizer Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Entführung. Der Straftatbestand komme bei Kindern unter 16 Jahren infrage, auch wenn diese sich scheinbar freiwillig bei einer Person aufhielten. Aus deutschen Polizeikreisen hieß es am Sonntag, dass es um Missbrauch gehe.

Paul ist in eine Chatfalle getappt, bestätigte die Polizei

Einem Polizeisprecher zufolge war Paul mit seinen Eltern am Sonntag noch in Düsseldorf und wird jetzt einfühlsam befragt. Die Familie plant ihre baldige Rückkehr in die Schweiz. Der Zwölfjährige war glücklich, seine Eltern wiederzusehen.

Schon Tage vor seinem plötzlichen Verschwinden am 18. Juni aus seinem Heimatort soll Paul gegenüber seinen Mitschülern angekündigt haben: „Am 18. bin ich nicht mehr hier.“ So berichtet es das Nachrichtenportal „20min.ch“. Bei der Pressekonferenz am Sonntag in der Schweizer Stadt Solothurn am Sonntag bestätigten die Beamten einen Bericht der Zeitung „Sonntagsblick“, wonach Paul in eine Chatfalle getappt sei. „Schnell war ein Mann im Visier, der mit Paul S. Kontakt über ein Internetspiel aufgenommen hat“, sagte der Chef der Kriminalpolizei, Urs Bartenschlager. Danach war das Vorgehen schwierig. „Jeder Schritt musste abgewogen werden, damit das Leben von Paul nicht gefährdet wurde.“

In den Tagen zuvor hatte sich herausgestellt, dass sich Paul relativ offen im Internet bewegte. „Hallo Leute. Mein Name ist Paul“, stellte er sich auf der Seite des Microsoft-Onlinespiels „Minecraft“ vor. „Mein Alter ist 12. Ich bin in der 5. Klasse. Ich wohne in der Schweiz in Gunzgen.“ Als Hobby nannte er Chatten. Fest steht: Drei Stunden vor seinem Verschwinden war Paul auf der Webseite aktiv – am Sonnabend vor einer Woche, morgens um 10.22 Uhr. Drei Stunden später verabschiedete er sich von seinen Eltern. Als Paul am Abend nicht heimkehrte, riefen seine Eltern die Polizei.

Am Montag durchsuchte dann ein Großaufgebot aus der Region das Haus der Familie. Am Dienstag fanden Beamte Pauls Fahrrad im Ort. Die Eltern vermuteten schon vom ersten Moment an, dass jemand anderes mit dem Verschwinden ihres Sohnes zu tun habe. Die ganze Sache habe die organisatorischen Fähigkeiten des Jungen überstiegen, sagte Monika S. dem Portal „20min.ch“, „denn welcher 12-Jährige plant seinen Abgang so lange im Voraus?“

Das Internet kann für Kinder ein gefährlicher Ort sein. Pädophile nutzen dort gezielt Chaträume, um minderjährige Opfer anzusprechen. Die Machenschaften der Täter in der virtuellen Welt bleiben in den meisten Fällen unbestraft. Nur 35 bis 40 Polizisten in Deutschland seien befugt, präventiv, also „anlassunabhängig“, zu recherchieren, erklärte Rainer Richard vom bayerischen Landeskriminalamt. Abgesehen davon sei die reine Anbahnung eines Treffens außerhalb des Internets noch nicht einmal strafbar, weshalb viele Täter keine Strafen zu befürchten hätten.