Hamburg. Lehrer warnen vor Überforderung durch Inklusion und Zuwanderung. Anmeldezahlen auf Tiefststand

Es ist ein Schlag ins Kontor einer nach Jahren der Konflikte eher ruhigen Schullandschaft: Die Schulleiter der Hamburger Stadtteilschulen fordern die „Schule für alle“ und damit das Ende des vor sechs Jahren etablierten Zwei-Säulen-Modells aus Stadtteilschule und Gymnasium.

„Wir sind überzeugt, dass die Herausforderungen in unserer Stadt, eine moderne, vielfältige Gesellschaft zu leben, die sozial, demokratisch, gerecht und chancenreich ist, mit der einen Schule für alle Schülerinnen und Schüler bewältigt werden kann“, heißt es in einem fünfseitigen Positionspapier, das 51 der 58 Stadtteilschulleiter unterschrieben haben. Die Stadtteilschule bietet alle Abschlüsse an, darunter das Abitur nach 13 Jahren. Das Gymnasium führt in zwölf Jahren zum Abitur.

Hintergrund für die Forderung der Schulleiter ist die Entwicklung der Anmeldezahlen für die fünften Klassen. Nur noch 42 Prozent der Kinder werden nach den Sommerferien auf eine Stadtteilschule wechseln, die Mehrheit geht aufs Gymnasium. „Setzt sich dieser seit Jahren andauernde Trend fort, werden im Jahr 2020 etwa 70 Prozent aller Hamburger Schüler das Gymnasium besuchen“, heißt es in dem Papier. „Damit wäre das Zwei-Säulen-Modell gescheitert. Weder das Gymnasium noch die Stadtteilschule könnten ihren Bildungsauftrag erfüllen.“

Die Reaktion von Schulsenator Ties Rabe (SPD) fiel deutlich aus. „Der Senat steht fest zum vereinbarten Schulfrieden und tritt jedem Versuch entgegen, Gymnasien und Stadtteilschulen abzuschaffen“, sagte Rabe. „Wir sollten uns nicht in Fantasien neue Schulreformen herbeireden und die Schulformen gegeneinander ausspielen, sondern konzentriert die Schulen weiter verbessern.“

Aus Sicht der Schulleiter werden den Stadtteilschulen „die größten Herausforderungen unserer Zeit aufgebürdet“: Inklusion und Zuwanderung. „Die 42 Prozent der Hamburger Schüler sollen dafür sorgen, auch Schüler mit sonderpädagogischem Förder­bedarf und nun auch den allergrößten Teil der neu nach Hamburg zugewanderten Schüler zu integrieren. Das kann nicht gelingen!“, heißt es in dem Papier. In der „Schule für alle“ werden die Lasten auch auf alle Schulen verteilt. Der Schulfrieden, der das Zwei-Säulen-Modell festschreibt, sei ein „politisches Stillhalteabkommen“, bei dem „die Kinder und Jugendlichen aus dem Blick verloren“ würden.

Rabe hob die Leistungen der Stadtteilschulen hervor, die zum Beispiel die Zahl ihrer Abiturienten seit 2011 verdoppelt hätten. Andererseits würden die Schulen wegen der besonderen Herausforderungen mit fast 40 Prozent mehr Pädagogen ausgestattet als gleich große Gymnasien. Rabe setzt trotz des Zwists weiter auf Gespräche mit den Schulleitern, um das System schrittweise zu stärken. „Wir sind gesprächsbereit. Wir nehmen uns die einzelnen Themen vor“, sagte auch Helga Wendland, Sprecherin der Vereinigung der Schulleiter an Stadtteilschulen.

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