Berlin.

Das Konto ist überzogen, die Freundin weg.

„Ich bin 26 Jahre alt und begann mit 18. Habe ca. 6 Jahre gespielt und ca 50.000 Euro verspielt.“

Der Name spielt keine Rolle. Die Person, die in einem Internetforum schreibt, kämpft gegen die Sucht nach dem Glücksspiel. Was tun, wenn man sein Geld verspielt – und das Leben?

Bei manchen wirken Spielautomaten wie ein Sog. Längst aber auch Sportwetten, und zwar nicht nur in Zeiten großer Fußballereignisse. Das Geschäft der Wettbüros blüht, auch im Internet. Dabei sind im Netz eigentlich nur die Lotterie „6 aus 49“ und der „Eurojackpot“ – beides Produkte des Deutschen Lotto- und Totoblocks (DLTB) – erlaubt. Doch online auf das beste Rennpferd oder Basketballteam setzen – das wird weder durch Kontrollen noch durch neue Gesetzesinitiativen gebremst. Das hat Folgen.

„Über Jahre lag die Zahl der Glückspielsüchtigen bei gut 150.000. Durch den Boom der Sportwetten seit gut fünf Jahren erwarten wir einen Anstieg“, sagt Ökonom Ingo Fiedler von der Universität Hamburg. Es dauere nur ein wenig, bis sich der Trend in den Daten niederschlage. Kaum ein anderer kennt sich in Deutschland so gut mit dem Markt aus wie er.

„Meine Ex hatte das Schreiben vom Darlehen entdeckt und die ganzen ungeöffneten Mahnungen... Sie hat meinen Laptop geschrottet.“

Also rechnet Fiedler vor: In Deutschland haben Glückspieler allein im Jahr 2014 – es sind die aktuellsten Zahlen – 12,4 Milliarden Euro verloren. 5,5 Milliarden Euro davon landeten in den Kassen der Spielhallen, 4,4 Milliarden in denen der Lotterien. 1,7 Milliarden werden dem illegalen Spiel zugeschlagen. Fiedler meint: „Mancher Intensivspieler gibt bis zu 10.000 Euro im Monat aus. Sie bringen den Anbietern den meisten Umsatz – und haben in der Regel ein Suchtproblem.“ 66 Prozent von ihnen würden sich verschulden. Peu à peu verliert man die Kontrolle.

„Es gibt keinen Zeitpunkt X, ab dem jemand glücksspielsüchtig wird“, erklärt Anne Pauly, Expertin für Suchtprävention bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, BzgA. Kritische Anzeichen, so sagt sie, aber schon. Nicht aufhören können mit dem Spiel. Alles Geld, das im Portemonnaie war, ist weg. Verlieren wird zur persönlichen Niederlage. So was. Die Gedanken kreisen dann immer um das Spiel. Freunde und Bekannte sind genervt, weil sie schon wieder Geld leihen sollen.

„Es hat noch 1 Jahr gehalten, und darauf trennte sie sich.“

Das Verlangen nach dem möglichen Gewinn, dem Kick, bestimmt alles. Und dann der Strudel. „Etwa ein Drittel aller Spielsüchtigen, die sich in eine Therapie begeben, haben einen Suizidversuch hinter sich“, sagt Professor Tilman Becker. Der Wirtschaftswissenschaftler leitet die in Deutschland einzigartige Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim. Der Auslöser für Spielsucht könne in der Familie genetisch bedingt sein, aber auch in der Erziehung und dem sozialen Umfeld liegen. So vermutet Becker, dass die Generation, die mit dem Gameboy und den Internetspielen aufgewachsen ist, also die um die zwanzig bis dreißig Jahre alten, spielaffinen jungen Erwachsenen, gefährdeter sind als die Generationen zuvor.

Spieler glaubten gerne daran, dass es Glücks- und Pechtage gebe und dass sie ihr Geld, wenn sie heute verloren haben, morgen zurückholen könnten, erklärt Becker. Und: „Sie kommen da nur raus, wenn ihnen das System Glücksspiel klar wird: Ich kann nur verlieren.“ Der Forscher empfiehlt: „Rat suchen, Hilfe suchen!“ – in einer Selbsthilfegruppe oder bei einer therapeutischen Einrichtung, die sich auf die Glücksspielsucht spezialisiert hat. Viele Spieler verdrängten ihr eigenes Leben, ihre eigentlichen Probleme. Dahinter steckten oft Ängste und Depressionen. Die Kassen übernehmen eine ambulante, auch eine stationäre Behandlung. Die Dauer ist etwa auf ein Jahr ausgerichtet, kann aber verlängert werden.

„Nach 2,5 Jahren habe ich eine neue Freundin mit Kind kennengelernt und ihr von Anfang an alles erzählt...Aber es kommt mir der Drang, wieder spielen zu gehen.“

Hilft eine Behandlung wirklich? Im aktuellen Drogen- und Suchtbericht 2016 der Bundesregierung heißt es, es lasse sich „ein Jahr nach der Therapie eine deutliche Verminderung der Funktionsbeeinträchtigung in den Bereichen Arbeit, Freizeit und Familie feststellen.“ Becker sagt es so: „Einmal glücksspielsüchtig, immer glücksspielsüchtig – das stimmt so nicht.“

Doch die Verlockung ist groß. Glückspielforscher Fiedler macht schon die nächsten Trends aus. „Daily Fantasy Sports“ zum Beispiel. Online wird jeder selbst zum Manager eines Sportvereins und stellt sich gegen Gebühr eine imaginäre Mannschaft zusammen, die Punkte sammeln kann. Oder: Wetten, dass der Deutsche Aktienindex Dax in den nächsten drei Sekunden steigt – oder fällt. Die Fachleute sprechen von „binären Optionen“. Fiedler meint: „Diese neuen Trends machen es Spielsüchtigen noch mal schwerer.“

„Es ist hart, aber habe mich für die Freundin und das Kind entschieden. Nur muss ich irgendwie mit Gleichgesinnten reden.“