„Da gibt es diesen verrückten alten Mann“, sagt die Mädchenstimme aus dem Off zu den ersten stimmungsvoll animierten Bildern von „Miss Hokusai“. „Er hat auf einem riesigen Feld einen Gott gemalt, und auf einem Reiskorn eine Schwalbe. Dieser Mann ist mein Vater, den ihr vielleicht als Maler Hokusai kennt“. Tatsächlich ist Hokusai sogar Europäern bekannt, besser gesagt sein Bild „Die große Welle vor Kanagawa“, eine Zeichnung, die grafische Verdichtung und Ausdruckskraft mit modernen Farben kombiniert wie heute die Manga- und Comic-Kultur. Tatsächlich war es Hokusai (1760-1849), der in Japan den Begriff des Manga popularisiert hat, und so erscheint es nur logisch, dass es sich bei „Miss Hokusai“ um die Verfilmung einer Manga-Serie handelt, den „Sarusaberi“-Comics von Hinako Sugiura.

Die Mädchenstimme gehört O-Ei, der Tochter des großen Künstlers und titelgebende „Miss Hokusai“. Ihre Entwicklung, ihre Gefühlswelt bildet den Angelpunkt des Films, der ansonsten eher lose einige Begebenheiten aus dem Leben der Künstlerfamilie aneinanderreiht. Kühn kombiniert Regisseur Keiichi Hara dabei modernes Lebensgefühl mit Anekdoten aus dem frühen 19. Jahrhundert. Da sieht man zu Beginn O-Ei zu 80er-Jahre-Rockrhythmen das alte Tokyo durchstreifen, darüber der Schriftzug „Edo, Summer 1814“. O-Ei ist alles andere als die brave Tochter, die man sich im Japan dieser Zeit vorstellt: Selbständig bis zum Trotz zeigt sie der Film als engste Mitarbeiterin ihres Vaters. Gleichzeitig bleibt sie stets abseits, wenn dieser auf Sauftour geht oder Bordelle besucht.

Mit quasi moderner Nonchalence geben viele der Anekdoten Einblicke ins damalige Sexualleben von Edo, wobei deutlich wird, wie anders dieses noch „interpretiert“ wird. Als roter Faden zieht sich das Thema der Rezeption durch den Film: Einige Geschichten erzählen unmittelbar davon, wie die Werke – darunter auch einige erotischen Inhalts – von Vater und Tochter aufgenommen und gedeutet werden. Diese Auseinandersetzung um die Wirkung von Kunst stehen einige wundervoll impressionistische Episoden gegenüber, etwa wenn O-Ei mit ihrer blinden Schwester einen Ausflug ins verschneite Umland macht, wo ein Junge es für sie aus Bäumen schneien lässt.

Leicht Zugängliches mischt sich hier mit Bizarrem, Poesie mit wildem Punk. Als weiteres Thema etabliert sich, dass Hokusai den Umgang mit seiner jüngsten Tochter meidet. Warum, bleibt allerdings auch für O-Ei eine offene Frage. (bch)

„Miss Hokusai“ J 2015, 90 Min., ab 6 J.,
R: Keiichi Hara, tägl. im 3001 (OmU), Sa/So im Cinemaxx Dammtor; www.misshokusai-derfilm.de