Berlin.

Es ist sein großer Triumph: Als der britische König George VI. seine bislang wichtigste Radioansprache hält, klingt er ganz normal. Sie ist kaum noch zu hören, seine Sprachbehinderung, das Stottern. Der Film „The King’s Speech“ zeigt die Qualen eines Mannes, der zwar viel zu sagen hat und kraft seiner Position sicher sein kann, dass die Worte Gehör finden, der aber genau das fürchtet – bis er dank einer Therapie lernt, mit seiner Behinderung umzugehen.

Stotternde Menschen gibt es in allen Sprachen und Kulturen, in Deutschland sind etwa 800.000 Erwachsene betroffen. Mindestens fünf Prozent aller Kinder entwickeln die Sprechstörung, meist zwischen dem zweiten und achten Lebensjahr. Jungen sind dabei deutlich in der Überzahl.

Die Angst verursacht Begleitsymptome

„Keine zwei Menschen stottern auf dieselbe Art und Weise“, sagt Martina Wiesmann, Logopädin und stellvertretende Vorsitzende der Bundesvereinigung Stottern und Selbsthilfe. Zwar assoziieren Laien mit dem Stottern vor allem die Wiederholung von Lauten, Silben oder Wörtern, doch ist dies nur eines der Kernsymptome. Zusätzlich treten Dehnungen von Buchstaben oder Lauten auf – und Blockaden, die verhindern, dass bestimmte Wörter ausgesprochen werden können. Darüber hinaus müssen sich manche der Stotternden beim Sprechen extrem anstrengen, was sich in einer verkrampften Gesichtsmuskulatur zeigen kann.

Weitere Begleitsymptome sind der Angst vor dem Stottern geschuldet: So versuchen Betroffene oft, gefürchtete Wörter zu vermeiden, brechen Sätze ab, um den Aufbau zu variieren, benutzen Füllwörter, um ein Wort länger aufzuschieben, oder verändern die Lautstärke ihrer Stimme und das Sprechtempo. Da das Stottern durch „kommunikativen Druck“ in einer Gruppe, zum Beispiel beim Sprechen vor der Schulklasse, verstärkt werde, so Wiesmann, würden viele Sprechängste entwickeln: „Sie sind oft sehr zurückhaltend, beteiligen sich weniger am Unterricht, brechen Blickkontakt ab und gehen Situationen aus dem Weg, in denen sie in oder vor einer Gruppe reden müssen.“

Die Ursachen des Stotterns sind nicht vollständig bekannt: Eine genetische Komponente spielt vermutlich die Hauptrolle – was nicht bedeutet, dass ein Kind stotternder Eltern ebenfalls betroffen sein muss. „Aber die Wahrscheinlichkeit ist deutlich erhöht“, erklärt Wiesmann.

Neben der genetischen Disposition können weitere Faktoren ein Stottern auslösen und chronifizieren. Es sei falsch, Eltern pauschal die Schuld am Sprachfehler ihres Kindes aufzubürden, so Martina Wiesmann. Allerdings könne „eine ungünstige Reaktion der Eltern auf das Stottern“ die Behinderung aufrechterhalten oder verstärken. „Stottern sollte nicht tabuisiert und keinesfalls sanktioniert werden.“

Dass Kinder beim Sprechen entwicklungsbedingte Unflüssigkeiten zeigen, ist zunächst kein Hinweis auf eine Behinderung. „80 Prozent aller Kinder wiederholen gelegentlich Silben“, sagt Wiesmann. Erst wenn sich die Wiederholungen häufen oder weitere Symptome hinzukommen, dass das Kind beim Sprechen etwa frustriert reagiert, ist es sinnvoll, einen Logopäden aufzusuchen. Wird festgestellt, dass ein Kind tatsächlich unter einem Stottern leidet, kann in den meisten Fällen direkt mit einer Therapie begonnen werden. „Konzepte, die eine Heilung versprechen, sind allerdings unseriös“, sagt Martina Wiesmann, „Hypnosetherapie, Akupunktur oder Atemtechnik können als alternative Verfahren vielleicht Teil einer Behandlung sein, aber für sich allein sind sie wenig sinnvoll.“

Verschiedene seriöse Konzepte wie die Lidcombe Methode, der PCI Ansatz oder das KIDS Konzept sind auf sehr junge Patienten zugeschnitten. „Wichtig ist die Einbeziehung der Eltern in die Therapie“, sagt Wiesmann. „Grundsätzlich sollten sie ihrem Kind Zeit geben und es nicht unter Druck setzen, sondern trösten und Verständnis zeigen.“ Außerdem sei eine offene Kommunikation mit der Schule unerlässlich, damit die Lehrer besser auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen können.

Bei vier Fünfteln aller stotternden Kinder verschwindet das Stottern bis zur Pubertät wieder, bei manchen sogar ganz ohne Therapie. Das übrige Fünftel jedoch muss sich, wie der britische König George VI., mit der Behinderung arrangieren. Dabei hilft neben der qualifizierten Therapie ein entspanntes Umfeld: „Sie sollten einem stotternden Menschen nicht ins Wort fallen oder seine Sätze für ihn beenden – das wirkt demütigend“, erklärt Wiesmann. Außerdem: Blickkontakt halten, nachfragen, wenn man den Stotternden nicht verstanden hat, ihm in einer Gruppe Raum geben und den Zugang zu Gesprächen erleichtern sowie das eigene Sprachtempo drosseln, um keinen Druck aufzubauen.

Floskeln wie „Denk nach, bevor du sprichst“, oder „Ganz ruhig, atme erst einmal tief durch“ seien zwar nett gemeint, helfen den Betroffenen aber nicht. „Denn es ist ja nicht so, dass man nicht weiß, was man sagen möchte. Man weiß es genau, aber es klappt eben nicht. Das hat nichts mit Nervosität oder Unkonzentriertheit zu tun“, sagt Monika Wiesmann. Die Logopädin spricht dabei aus Erfahrung. Sie stottert selbst und fühlte sich in ihrer Jugend dem Stottern „hilflos ausgeliefert“. Heute jedoch geht sie ganz selbstbewusst damit um, dass sich gelegentlich ein Wort weigert, unauffällig im Sprachfluss mitzuschwimmen.