Surat Thani.

Archäologen haben unter dem Urwaldboden in der Umgebung von Kambodschas weltberühmter Tempelanlage Angkor Wat Spuren einer bislang unbekannten Zivilisation entdeckt. Möglich wurde dies mithilfe hochmoderner Technik. Aus einem Hubschrauber heraus richteten die Forscher dabei Laserstrahlen auf den Waldboden, um darunter verborgene Strukturen abbilden zu können.

„Die von uns gefundenen Hinweise auf dicht besiedelte, kolossale Städte deuten darauf hin, dass dort während des 12. Jahrhunderts auf einem etwa 2000 Quadratkilometer großen Gebiet das größte Reich der Welt existierte“, glaubt der australische Entdecker Damian Evans von der „Ecole Francaise d‘Extreme Orient“ (EFEO) in Siem Reap bei Angkor Wat.

Evans wird seine Entdeckungen am heutigen Montag vor der „Royal Geographic Society“ in London vorstellen. Aber ebenso wie andere Wissenschaftler ist der Australier überzeugt: Die Geschichte der Region muss nach seinen Funden umgeschrieben werden. Die Region sei vor 900 Jahren das wichtigste kommerzielle Bindeglied zwischen dem Orient und dem Westen gewesen.

So groß wie die heutige Hauptstadt Phnom Penh

Die Bewohner des rund um das bei Archäologen als Phnom Kulen bekannten Gebiets hätten Bewässerungstechniken eingesetzt, die nach bisheriger Überzeugung erst Jahrhunderte später entwickelt worden seien. „Wir haben ganze Städte unter dem Urwaldboden gefunden, von denen niemand wusste“, sagt Evans. Sie seien so groß gewesen wie die heutige Hauptstadt Kambodschas, Phnom Penh, in der 1,5 Millionen Menschen leben. Laut einem Bericht der britischen Zeitung „Guardian“ konnten die Forscher ein ganzes, 900 bis 1400 Jahre altes Städtenetzwerk nachweisen.

Die Entdeckungen waren dank einer Technik möglich, die mit dem gängigen Bild von staubbedeckten Archäologen mit kleinen Kratzwerkzeugen in Erdgruben nur wenig gemein haben. Im Jahr 2015 schickten die Forscher mit Geldern des European Research Council (ERC) einen Helikopter auf vorbestimmte Flugrouten. Auf den Kufen war eine Laserapparatur montiert, die jeden Quadratmeter mit 16 Laserstrahlen bombardierte. Dank der reflektierten Strahlen gewannen die Archäologen ein detailliertes Spurenbild, das nicht einmal der Dschungel verbergen konnte. Experten zufolge handelte es sich um die aufwendigste archäologische Studie aus der Luft, die jemals gemacht wurde.

Die rund 250 Kilometer von Phnom Penh entfernte Tempelanlage Angkor Wat lockt jährlich Massen von Besuchern aus aller Welt an. 2013 besuchten mehr als zwei Millionen Menschen die Anlage. Mit ihren Wänden voller Ornamente zählt sie zu den kostbarsten Sehenswürdigkeiten der Welt. Die meisten Bauten entstanden vor rund 1000 Jahren im Rahmen einer hinduistischen Kultur, die im Laufe von insgesamt vier Jahrhunderten durch den Theravada Buddhismus, der bis in die Gegenwart in Südostasien dominiert, ausgewechselt wurde.

Ausgrabungen und Forschungen waren während der blutigen Terrorherrschaft der Roten Khmer im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts größtenteils unmöglich. In der Zeit wurden zahlreiche wertvolle Arbeiten aus Angkor Wat gestohlen und auf dem internationalen Kunstmarkt verhökert.

Archäologen konnten bislang keine Stelen entdecken, die Hinweise auf den ursprünglichen Namen geben. Ebenso ungewiss ist das Ende der Zivilisation. Bislang gingen Historiker davon aus, dass im 14. Jahrhundert Eroberer aus dem heute als Thailand bekannten Nachbarland den Bewohnern und Herrschern von Angkor Wat den Garaus machten und eine Massenmigration Richtung Süden auslösten.

Klimawandel verheerender als kriegerische Feinde?

Nach den neuen Funden von Evans drängt sich nun die Vermutung auf, dass auch diese Geschichte überarbeitet werden muss. Wie es scheint, war schon damals der Klimawandel verheerender als kriegerische Feinde aus der Nachbarschaft. „Wir konnten keine Hinweise finden, dass die Bewohner vor Eroberern in andere Orte geflohen sind“, sagt Damian Evans.

In der Fachwelt werden die Entdeckungen von Evans voller Begeisterung aufgenommen. Der emeritierte Anthropologieprofessor Michael Coe der Yale Universität erklärte: „Diese Laserentdeckungen stellen den größten Fortschritt für unser Wissen über die Angkor-Zivilisation seit 50 bis 100 Jahren dar.“ Auch David Kyle, der in der Vergangenheit an Ausgrabungen in Phnom Kulen teilnahm, kann seine Freude kaum verbergen: „Die Laserforschung in Angkor Wat hat unsere Arbeit revolutioniert. Es ist unmöglich, von den neuen Erkenntnissen nicht begeistert zu sein.“

Mahendraparvata lautet der Name der im Mittelalter untergegangen und nun neu zu erforschenden massiven Stadt unter Kambodschas Urwaldboden. Bereits 2012 seien erste Überreste entdeckt worden. Sie sei jedoch ungleich viel größer als bisher angenommen. „Bisher kannten wir nur einen Teil der Anlagen“, triumphiert Evans, „jetzt haben wir alles.“