Louisville.

„Er wollte keine stille Trauer. Er wollte die große Bühne“, sagt Isaiah Preston, „aber für alle Menschen, für alle Religionen. Und darauf kommt es in diesem Land gerade verdammt noch mal wirklich an.“ Der 43-jährige Musiker ist Freitagmorgen zusammen mit seiner Frau Trish einer der ersten an der Kreuzung, wo der nach Louisvilles berühmtestem Sohn benannte Boulevard in der Innenstadt auf die 9. Straße trifft. Zwei Stunden noch, dann wird hier, flankiert von Tausenden auf den Bürgersteigen, der Korso aus 21 Wagen mit dem Sarg vorbeiziehen, der Muhammad Ali entlang der Stationen seiner Kindheit und Jugend zur letzten Ruhestätte bringt.

Isaiah Preston ist dafür über Nacht eigens aus New York 15 Stunden nonstop mit dem Auto in die 700.000-Einwohner-Stadt am Ohio River gefahren, auf die eine Woche nach dem Tod der Universalikone die ganze Welt blickt. Warum die Strapazen? „Ich musste heute einfach hier sein. Durch Ali wurde es cool und würdevoll, in Amerika ein Muslim zu sein“, sagt Preston, „durch Donald Trump und andere darf das nicht zerstört werden.“

Die islamfeindlichen Äußerungen des Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, sie schwingen bei vielen unterschwellig mit in den Stunden der Trauer und des Gefühlskuddelmuddels, die Kentuckys sonst für Bourbon und schnelle Pferde bekannte Metropole erlebt, seit der 1942 hier als Cassius Clay geborene Ali gestorben ist. Aber auch dafür hatte der schon zu Lebzeiten übergroße Menschenfreund gewissermaßen vorgesorgt. Alle Details seiner präzise choreografierten Abschiedszeremonie hatte er vorher festgelegt. Vor allem: wen er dabei haben wollte. Alle!

Der türkische Präsident Erdogan sorgte für Eklat

Darum das von Tausenden besuchte muslimische Totengebet am Donnerstag. Genau an der Stelle, wo Ali vor 55 Jahren seinen letzten Kampf in seiner Heimatstadt ausgetragen hatte. Jene Stadt, die ihm 1960 nach dem Olympia-Gold von Rom kalt die rassistische Schulter gezeigt hatte. In der „Freedom Hall“ standen die Zeichen demonstrativ auf interkonfessionell. In kleinen Menschentrauben standen Muslime, Juden, Christen und Vertreter anderer Religionen zusammen, tauschten Anekdoten über ihren „Superhelden“ aus. Und zückten die Foto-Handys, als nach den Gebeten des Imams Zaid Shakir der Sarg ins Freie gebracht wurde; getragen auch von Yussuf Islam, der als Cat Stevens so erhebend über den anbrechenden Morgen sang.

Schon hier eine Promi-Dichte für die Geschichtsbücher. Der Bürgerrechtler Jesse Jackson war ebenso gekommen wie Louis Farrakhan, Führer der radikalen afro-amerikanischen „Nation of Islam“, der sich Ali nach seinem Übertritt zum Islam zunächst zugehörig fühlte. Neben Faustkampf-Promoter Don King hatte sich fast die komplette Box-Elite von Lennox Lewis über Larry Holmes, Mike Tyson und Evander Holyfield bis Sugar Ray Leonard in feine Anzüge gezwängt. Angereist, um sich „zu verneigen vor einem Mann, der mit seiner Güte und Liebe Grenzen eingerissen hat für uns alle“, wie Louisvilles Bürgermeister Greg Fischer sagte. Oder wie der NBA-Basketball-Star Kareem Abdul-Jabbar (69) formulierte: „Ali brachte aus den Menschen immer das Beste heraus.“ Sein Charme, seine Lässigkeit, seine Leidenschaft, seine schwarze Herkunft, sein Charisma, seine Selbstlosigkeit, seine Hilfsbereitschaft, sein heiliger Zorn gegen Krieg und Ungerechtigkeit: alle 20 Trauer-Redner um Präsident Bill Clinton und Hollywood-Schauspieler Billy Crystal trugen gestern in der mit über 20 000 Gästen gefüllten KFC Yum!-Arena auf liebenswürdige und hoch emotionale Weise zur Vergöttlichung des Verstorbenen bei. Alis Witwe Lonnie, zwei Ex-Frauen des „Champions des Volkes“ und seine neun Kinder saßen in der ersten Reihe und kämpften mehr als einmal mit den Tränen.

Zu Herzen ging nicht nur ihnen das rigorose Eintreten der Vertreter aller großen Religionen auf dem Podium, die in hochpolitischen Beiträgen immer wieder Alis Eintreten für Frieden und Verständigung zwischen den Religionen als vorbildlich und unersetzbar priesen.

Zu jenen, die dagegen offenbar eher aus Gründen der Selbstvermarktung vom Vermächtnis Alis profitieren wollten, gehörte Reep Tayyip Erdogan. Mit Gattin und sultanesker Entourage fiel der türkische Präsident am Donnerstagabend im dicht bevölkerten Muhammad Ali-Center ein, ließ sich durch das Multimedia-Museum führen und posierte mit Exil-Türken für Schnappschüsse. Peinlich: Für die Fotografen präparierten seine Helfer an der improvisierten Gedenkstätte vor dem Eingang Blumengestecke mit türkischen Fahnen. Noch peinlicher: Weil Erdogan von der Ali-Familie in letzter Minute verwehrt wurde, bei der Trauerfeier zu reden, reiste er verärgert vorzeitig ab und sorgte damit auch außerhalb Europas mit seinem omnipotenten Drang nach Einmischung für einen handfesten Eklat.

Zurück zur Hauptperson, die mitunter in „Ali, Ali“-Sprechchören gefeiert wurde als ginge es um den WM-Titel im Schwergewicht. Beim Verlassen der Arena sagte die im Rollstuhl sitzende Morgie Lancaster, eine schwarze Muslimin, einen Satz, der von Muhammad Ali selbst hätte stammen können. „Amerika muss zur Besinnung kommen. Amerika muss zusammenkommen.“ Vielleicht haben die Tage der Trauer von Louisville dazu etwas beitragen..